zum Hauptinhalt
Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan bei einer Rede im Parlament.

© AFP/KAREN MINASYAN

Zwischen Kriegs- und Putschgefahr: Wer ist Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan – und was hat er vor?

Eine Revolution brachte Paschinjan an die Spitze Armeniens. Jetzt will er sein Land Richtung Westen ausrichten. Warum sich der Premier mit Russland und der eigenen Bevölkerung anlegt.

Er lässt sich gerne mit Nelson Mandela vergleichen: Nikol Paschinjan, der seit 2018 amtierende Ministerpräsident Armeniens. Ein hochgegriffener Vergleich, aber eine Parallele gibt es durchaus. Auch Paschinjan saß als politischer Gefangener hinter Gittern. Dann zettelte er eine Revolution an, rettete die Demokratie Armeniens, wurde Regierungschef – und stellt sich nun dem vermutlich gefährlichsten Mann der Zeitgeschichte entgegen: Wladimir Putin.

Paschinjan will Armenien aus Russlands Fängen befreien und nach Westen ausrichten. Er sucht die Nähe zu EU und Nato; die von Russland geführte Militärallianz OVKS soll sein Land verlassen. „Wir werden gehen“, sagte der Regierungschef vor dem armenischen Parlament. „Keine Sorge, wir werden nicht zurückkehren.“ Auch einen Austritt aus der Eurasischen Wirtschaftsunion strebt Paschinjan an.

Ein riskanter Kurs. Paschinjan riskiert, dass Armenien in seiner heutigen Form von der Landkarte verschwindet. Das Land steht ohne Verbündete da, ist mit seinen Nachbarn Aserbaidschan und der Türkei verfeindet. Es besteht die Gefahr, dass Aserbaidschan angreift – angestachelt von Armeniens ehemaliger Schutzmacht Russland.

Sein Rückhalt in Armenien schwindet Bevölkerung

Er setzt sich zudem der Gefahr aus, von prorussischen Kräften gestürzt zu werden. „Ein russischer Putsch ist nicht auszuschließen“, sagt Stephan Malerius, Leiter des Südkaukasus-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.

„Im armenischen Geheimdienst arbeiten viele Mitarbeiter mit engen Beziehungen nach Moskau.“ Auch weite Zweige der armenischen Wirtschaft stehen unter russischer Kontrolle.

Auch in der Bevölkerung verliert Paschinjan zunehmend an Rückhalt. „Er ist gegenwärtig sehr unbeliebt“, sagt Malerius. Seit Ende Mai protestieren wieder Tausende gegen ihn. Die Regierung hatte zuvor vier Grenzdörfer an Aserbaidschan übergeben, um einen Angriff zu verhindern.

Anführer der Proteste ist Erzbischof Bagrat Galstanjan, der ein Amtsenthebungsverfahren gegen Paschinjan anstrebt. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Russland diese Bewegung massiv unterstützt“, so der Südkaukasus-Experte.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Premier mit einer solchen Situation konfrontiert ist.

Ein russischer Putsch ist nicht auszuschließen.

Stephan Malerius, Leiter des Südkaukasus-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.

Als es im Herbst 2020 nach 26 Jahren Waffenruhe zum zweiten Bergkarabach-Krieg kommt, bei dem Aserbaidschan große Teile der von Armeniern kontrollierten Region zurückerobert, gehen die Menschen ebenfalls auf die Straße und bezeichnen ihren Regierungschef als „Verräter“.

Auch Vertreter der Armee sprechen sich damals gegen ihn aus. Es droht ein Militärputsch. Paschinjans Strategie, um an der Macht zu bleiben: Er tritt zurück, löst das Parlament auf, um Neuwahlen zu ermöglichen – die er gewinnt.

Zahlreiche Enthüllungen über Korruption

Paschinjan stammt aus einfachen Verhältnissen. Er ist einer, der es versteht, sich nicht unterkriegen zu lassen. Als Journalistik-Student erzielte er Bestnoten – und flog wegen regierungskritischer Texte von der Uni.

Später arbeitet er dennoch als Journalist für mehrere Zeitungen, wird schließlich Chefredakteur der Zeitung „Oragir“. Zahlreiche Enthüllungen über Korruption bringen ihm Verleumdungsklagen ein, sein Auto fliegt in die Luft, er wird zu Geldstrafen verurteilt. Schließlich machen die Behörden die Zeitung dicht.

2
Jahre saß Paschinjan im Gefängnis, dann kam er im Rahmen einer Amnestie frei.

Paschinjan gründet daraufhin die Zeitung „Aikakan Schamanak“, heute die größte Zeitung Armeniens. Auch dort sitzt er wieder im Chefsessel – bis er seine politische Karriere beginnt.

Im Jahr 2008 ist er nach den Präsidentschaftswahlen Mitorganisator großer Straßenproteste. Nun droht ihm Haft. Paschinjan, verheiratet mit einer Journalistin, Vater von drei Töchtern und einem Sohn, geht in den Untergrund.

Nach einem Jahr stellt er sich den Behörden. Sein Leben im Gefängnis beginnt. Sieben Jahre lautet das Urteil. Zwei Jahre werden es, dann kommt er im Rahmen einer Amnestie frei.

2015 gründet er seine heutige Partei Zivilvertrag, die zentrisch und liberal positioniert ist. Bei den Parlamentswahlen 2017 gewinnt Paschinjan ein Mandat.

Anführer der Proteste bei der „Samtenen Revolution“

Im April 2018 dann die „Samtene Revolution“: Sersch Sarsjan, der zuvor bereits zehn Jahre lang Staatspräsident war, lässt sich zum Ministerpräsidenten wählen, um an der Macht zu bleiben. Er hatte mit einer Verfassungsreform dafür gesorgt, dass das Amt des Regierungschefs deutlich gestärkt wurde. Die Armenier gehen auf die Straße, werfen der politischen Führung Korruption und Vetternwirtschaft vor.

Es ist Paschinjan, der die Proteste anführt. Der damals 42-Jährige, der normalerweise im Anzug auftritt, legte sich einen Revolutionslook zu: Bart, Camouflage-Shirt, Rucksack, ein Megafon. Täglich protestierten bis zu 50.000 Menschen in dem 2,8 Millionen Einwohner zählenden Land.

Nach sieben Tagen muss Sarsjan von seinem neuen Amt zurücktreten. Daraufhin lässt sich Paschinjan zum Regierungschef wählen. Seitdem ist das bisherige Regime entmachtet. Doch es wartet wohl nur auf eine Gelegenheit, dass sich Paschinjan nicht mehr oben halten kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false