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Körperliche und ästhetische Bildung. Polka, Tanzkostüm, um 1920.

© Loheland-Stiftung Archiv

100 Jahre Bauhaus: Die Frauensiedlung Loheland

Amazonen Avantgarde: Eine Ausstellung im Vonderau Museum Fulda gibt erstmals einen gezielten Einblick in die Geschichte und Kunstproduktion der Reformsiedlung.

Weit über Weimar, Dessau und Berlin hinaus reihen sich zum Bauhaus-Jubiläum die Veranstaltung aneinander und weiten dabei den Blick auf die Vielfalt der Moderne der Weimarer Republik. Als besondere Wiederentdeckung erweist sich die 1919 von den Gymnastinnen Louise Langgaard und Hedwig von Rohden gegründete Frauenbildungsstätte Loheland bei Fulda.

Unter dem Titel „Loheland 100. Gelebte Visionen für eine neue Welt“ ermöglicht eine fulminante Ausstellung im Vonderau Museum Fulda an Hand von rund 800 Objekten aus dem Archiv der Lohelandstiftung erstmals einen umfassenden Einblick in die Geschichte der Reformsiedlung und ihrer facettenreichen künstlerischen Produktion.

Körperliche und ästhetische Bildung

In Auseinandersetzung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners stand Loheland für eine ganzheitliche körperliche und ästhetische Bildung. Im Zentrum der Ausbildung stand die von Rohden und Langgaard entwickelte „Lohelandgymnastik“. Ihr Anliegen war es, durch die Gymnastik die Körperwahrnehmung der jungen Frauen zu schulen, die anschließend in die Gestaltung unterschiedlichster künstlerische Objekte einfloss. Gewohnt und gearbeitet wurde in den über das weitläufige Waldareal verstreuten Bauten der Siedlung. Dazu zählen der festliche, expressionistische Franziskusbau und der die jüngst sanierte „Waggonia“ aus ausrangierten Eisenbahnwaggons.

[„Loheland 100. Gelebte Visionen für eine neue Welt“ im Vonderau Museum Fulda, bis 5. Januar. Katalog im Imhof Verlag, 19,95€.]

In den frühen 1920er Jahren feierten die Loheländerinnen mit ihrem expressiven Ausdruckstanz deutschlandweit Erfolge. Für die Ausstellung gelang es, die bei einem Brand 1923 vollständig verlorenen Kostüme durch den Studiengang Kostümgestaltung der Dresdner Hochschule für Bildende Kunst rekonstruieren zu lassen. Mit dem Verlust der Kostüme endete das Kapitel des Loheländer Ausdruckstanzes. Stattdessen traten andere künstlerische Ausdrucksformen in den Vordergrund.

So umfasste das Angebot für die zweijährige Ausbildung der Frauen eine Handweberei (seit 1919), Schreinerei (1920), Drechslerei (1924), die Schneiderei (1927) und ab 1931 auch eine Töpferei. Darüber hinaus gab es eine Korbwinderei und eine Lederwerkstatt. Besonders reizvoll sind die Stoffe mit ihren geometrischen Mustern, die denen aus dem Bauhaus in nichts nachstehen.

Das Handwerk stand im Vordergrund

Doch anders als im Bauhaus zielten die Loheländerinnen nie auf eine industrielle (Massen-)Produktion. Stattdessen stand die eigenhändige, handwerkliche Fertigung der Objekte im Vordergrund. Daneben wurde in Loheland einer der ersten deutschen Demeterhöfe mit biodynamischer Landwirtschaft betrieben und die Loheländer Doggenzucht feierte bis in die USA Erfolge. Vertrieben wurden die Produkte der Marke Loheland in eigenen Läden in Hamburg und Berlin.
Wie sehr man in der hessischen Provinz auf der Höhe der Avantgarde der Zeit mitspielte, zeigt sich eindrucksvoll in der Fotografie. Nicht umsonst ist auch in der Berliner „Original Bauhaus“-Ausstellung in der Berlinischen Galerie neben den Fotogrammen von Man Ray und Lázló Moholy-Nagy eine Arbeit von Bertha Günther zu sehen.

Ab 1920 experimentierte Günther in der Lichtbildwerkstatt in Loheland mit derartigen Fotogrammen, bei denen ganz ohne Kamera die Objekte direkt auf dem Fotopapier platziert und belichtet werden. Mit Beginn des „Dritten Reichs“ war der „Amazonenstaat“ Loheland von Schließung bedroht. Louise Langgaard vertrat eine Strategie der Anpassung an die nationalsozialistischen Herrscher, woraufhin Hedwig von Rohden Loheland verließ und erst nach dem Tod Langgaards zurückkehrte.

Erst in den 1990er Jahren endete die gymnastische und künstlerische Ausbildung in Loheland, wenngleich sie nach 1945 nicht mehr an die avantgardistische Frühphase anzuknüpfen vermochte. Offen ist, wie das eindrucksvolle künstlerische Erbe Lohelands und seine einzigartige Geschichte künftig angemessen auf dem Gelände der Siedlung präsentiert werden, damit dieses bedeutende Kapitel der Moderne auch nach der sehenswerten Fuldaer Ausstellung weiter erlebt und erforscht werden kann.

Jürgen Tietz

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