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Anne Imhofs Ausstellung „Nature Morte“ im Palais de Tokyo in Paris.

© Andrea Rossetti

Anne Imhofs Ausstellung in Paris: Dein Platz auf der Matratze

Konkurrenz im Irrgarten: die gefragte Berliner Künstlerin Anne Imhof zeigt eine große Installation im Pariser Palais de Tokyo.

Zwei schwarze Boxen kreisen an der Decke. Die Schienen, an denen das Lautsprecher-Duo hängt, beschreiben ein präzises Oval - und noch könnte es Zufall sein, dass an der Wand gegenüber eine Projektion den Künstler Gordon Matta-Clark bei der Arbeit zeigt. Der trennte 1975 in seinem Film „Days End“ ein Riesenstück Wand aus einer alten Lagerhalle am New Yorker Pier 52. Die Öffnung dieser Zerstörungstat mit dem Schneidbrenner erinnert an: nun ja, etwas ähnliches wie ein Oval.

Anschauen kann man sich Matta- Clarks rund 20-minütige Performance im Stehen. Oder man setzt sich auf eine davor platzierte Matratze aus weißem Leder, und hier wird es interessant. Die Künstlerin Anne Imhof, von der auch das sound piece an der Decke stammt, verwendet solche Matratzen überall in ihrer Ausstellung „Natures Mortes“. Manche liegen in düsteren Kammern, die trotz transparenter Wände an Kerker erinnern. Andere zieren Flächen auf hell lackierten Stahlsäulen, bei deren Anblick einem Hybride aus Sprungtürmen und hydraulischen Betten in den Sinn kommen.

Ein Labyrinth aus Räumen und Ebenen

Wann immer jedoch eine davon im Palais de Tokyo auftaucht, knüpft sie Verbindungen zwischen den Elementen der Schau. Das ist nötig, denn die Pariser Institution ist ein Raummonster. Über 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, drei oder vier Stockwerke tief – man verliert den Überblick in all den Labyrinthen, auf Treppen und Plattformen, durch die „Natures mortes“ in den Bauch der Pariser Museumsinstitution führt, die nach außen klassizistisch tut, während sie tatsächlich eine Konstruktion von 1937 aus Stahl und Beton ist.

Anne Imhof reagiert darauf, wie sie es immer tut. Kälte und Leere werden nicht kaschiert, sondern betont. Die gefragte Künstlerin, 2015 mit dem Preis der Berliner Nationalgalerie ausgezeichnet und zwei Jahre später im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig vertreten, hat das Gebäude im Innern noch ein Stück mehr skelettiert und mit ihren Zutaten ausgestattet.

Paneele aus grauem Rauchglas, übrig vom Abriss eines Hochhauses, bilden Räume oder sichelförmige Gänge, an deren Ende nichts wartet. Im Gegenteil: Wer solche Wege nimmt, läuft zielsicher an Arbeiten wie „Sex“ vorbei. Den anderen Besuchern vermittelt die dreistündige Tanzperformance, die 2019 in der Tate Modern gefilmt wurde und in Paris nun an die Wände projiziert wird, den Eindruck, sie seien Teil der Aufführung.

Verweise auf Sigmar Polke und Rosemarie Trockel

„Natures mortes“ ist kein Ausstellungsparcours, sondern ein Irrgarten voll seltsamer Blüten. Sie leuchten auf, wo Imhof die Werke von Kollegen in ihre Installationen einbaut: Fotos von Wolfgang Tillmans, einen monumentalen Bilderzyklus von Sigmar Polke, Rosemarie Trockels Keramik, Malerei von Joan Mitchell oder eben „Days End“ von Gordon Matta- Clark.

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Das alles fügt sich zu einem symbolhaften Bild: Imhof, Jahrgang 1978, ist von den Virtuosen vergangener Jahrzehnte geprägt. Gleichzeitig muss sie sich gegen die Idole behaupten, an ihnen messen. Ihre Kunst saugt sie auf und liefert sich einen Wettkampf. Weshalb sonst sind die Säulen im Palais mit schwarzen Kunststoffpolstern ummantelt, wie sie sonst Boxer beim Training vor schweren Verletzungen bewahren?

Imhofs Partnerin taucht auf

Es ist, als schaue man Anne Imhof in den Kopf. Sieht, was sie antreibt, spürt Schmerz und Lust, Erinnerungen und Abgründe. Auch wenn die Künstlerin im Titel ihrer Schau die stillgestellte Natur bemüht, an Schönheit und Vergänglichkeit in einem Atemzug erinnert, tobt etwas durch diesen Ort. Scheppernd wie die Blechtonne, die ein Mann auf dem Video „Phat Free“ des schwarzen, amerikanischen Künstlers David Hammons durch nächtliche Straßen tritt.

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Dann wieder herrscht Stille, bevor sich harte Klänge wie schon am Eingang aus den Deckenboxen in den Raum drängen. Irgendwann stolpert der zunehmend orientierungslose Besucher in ein schwarz getünchtes, ehemaliges Kino mit einer Filmsequenz: Imhofs Partnerin, die Künstlerin Eliza Douglas, strebt zwischen üppigen Blumen nach dem Suizid. Man kann es ihr angesichts der Düsternis in der Schau kaum verdenken. Aber halt: Die blutorangen Höllengemälde im Death-Metal-Stil wenige Räume zuvor stammen von ihr selbst. Douglas, die in einem anderen Video unbeirrt eine halbe Stunde lang auf das Meer einpeitscht, ist Opfer wie Protagonistin in einer Person.

[Palais de Tokyo, Paris. Bis 24. Oktober, Mi-So 10-22 Uhr.]

Vielleicht liefert dies auch den Schlüssel zu Anne Imhofs künstlerischem Ansatz. Die Kälte der Materialien, die Wärme und Eckigkeit der von ihr in Performances eingesetzten Körper und ihre Konservierung im Film; der Rückbezug auf künstlerische Ikonen in den raffiniert ausgeleuchteten Ausstellungshallen zwischen all dem Glas mit seinen Spuren des Alterns und von Graffiti-Attacken beschwören ein Kabinett der Schwarzen Romantik im 21. Jahrhundert.

Ein Haus von Piranesi liegt über der grandiosen Inszenierung, in der sich Todessehnsucht und Underground begegnen. Imhof wäre nicht Imhof, würde sie das Schwärmerische nicht mit harten Schnitten sezieren. Ein Schlagzeug steht auf einer Bühne, glänzend und bereit für den lauten Tusch, der einen aus den Katakomben zurück ans Licht holt. Dieser Widerstreit der Gedanken und Gefühle – wir kennen das alle. Anne Imhof gibt ihm im Palais de Tokyo Gestalt.

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