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Ein von Adolf Rading entworfenes Geschäftshaus mit Apotheke am Blücherplatz in Breslau, gebaut zwischen 1925 und 1928.

© mauritius images

Berliner Architekt Adolf Rading: Das Bauhaus vor dem Bauhaus

Häuser, langlebig und klar gestaltet: über den vergessenen Berliner Architekten Adolf Rading ist jetzt eine umfangreicher Band erschienen.

Im Rausch des Bauhaus-Jubiläums gerät in Deutschland ganz aus dem Blick, welche bedeutenden Baudenkmäler der Moderne Breslau, das heutige Wroclaw, bietet. Beate Störtkuhl und Jerzy Ilkosz hat das zu einer umfangreichen Neuerscheinung veranlasst: „Adolf Rading in Breslau – Neues Bauen in der Weimarer Republik“. Sie erinnern an die bedeutenden Bauten des wenig beachteten Berliner Architekten und würdigen sein Wirken an der schlesischen Kunstakademie.

Rading baute für den Menschen. Für moderne Lebenskonzepte. Für ein gemeinschaftliches Zusammensein. Für berufstätige Frauen. Es sind ganzheitliche Ideen in farbig betonten Raumkonzepten. Künstler wie der Bauhausmeister Oskar Schlemmer wirkten mit. Der hatte an die konkurrierende Kunstschule in Breslau gewechselt, als ihm das Bauhaus zu politisch wurde; auf Tournee mit dem Triadischen Ballett tänzelte sich Schlemmer in die Herzen der Breslauer Schule.

Zwischen 1919 und 1933, der „Bauhaus-Zeit“, prägten Radings Architekturideen die Moderne in der schlesischen Hauptstadt. Zuvor absolvierte der gelernte Maurer ein Studium an der Berliner Baugewerksschule – heute Beuth Hochschule – und arbeitete in mehreren Architekturbüros, darunter bei Peter Behrens, einer Brutstätte späterer Bauhaus-Prominenz. Es war dann Radings Mitarbeit an der Mariendorfer Trabrennbahn, die ihn mit August Endell, dem Architekten der Hackeschen Höfe, zusammenführte und ihm eine Karriere an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau versprach.

Sie gilt heute mit ihrem ganzheitlichen Lehrprogramm für Kunst und Handwerk als „ein Bauhaus vor dem Bauhaus“. Endell holte als neuer Direktor den 31-jährigen Rading für den Architekturunterricht an die Schule. Das war 1919, als vor hundert Jahren Walter Gropius – nach vergeblicher Bewerbung auf die Leitungsposition in Breslau – in Weimar das Bauhaus gründete.

Die "billigsten Neubauwohnungen in Berlin"

Im Schatten des Jubiläums bemühen sich Jerzy Ilkosz, Direktor des Breslauer Architekturmuseums, und Beate Störtkuhl vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, die schlesische Moderne in ein helleres Licht zu rücken, mit Ausstellungen, Vorträgen und der Rading-Publikation. Zu seiner Architektenkarriere in Deutschland hatte Störtkuhl bereits 1992 ihre Doktorarbeit veröffentlicht. Die neue Publikation vereint zum ersten Mal Radings Schriften in einer kommentierten Fassung, die dem Leser Einblicke eröffnet in soziale Lösungen für die Breslauer Stadterweiterung und Siedlungspolitik oder für eine Erwerbslosensiedlung in Berlin-Lichtenberg. Die durchgrünten Wohnanlagen bezeugen, wie langlebig und klar gestaltet die damals „billigsten Neubauwohnungen in Berlin“ noch heute aussehen können.

In Hans Scharoun, dem Schöpfer der Berliner Philharmonie, fand Rading einen gleichgesinnten Kollegen: Als sie beide mit innovativen Hochhausideen einen konservativen Architekturwettbewerb verloren, solidarisierten sie sich. Rading holte Scharoun an die Breslauer Akademie; später gründeten sie ein gemeinsames Berliner Architekturbüro.

Radings Einladung, seine Architekturvorstellungen in der vom späteren Bauhausdirektor Ludwig Mies van der Rohe geleiteten Stuttgarter Weißenhofsiedlung zu verwirklichen, gab den Anstoß für eine Werkbund-Ausstellung in Breslau: Die Gesamtplanung für „Wohnung und Werkraum“, kurz WuWA, war Adolf Radings beruflicher Höhepunkt. Mit dem Anspruch günstiger Wohntypen entstanden in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den Akademiestudenten 103 Kleinwohnungen und 29 Wohnhäuser.

Von der Tankstelle bis zur Arbeitslosensiedlung

Ein avantgardistisches Bauwerk schmückt das Titelbild der Publikation, das viergeschossige „Gemeinschaftswohnhaus“, das Rading für die Breslauer Werkbund-Siedlung errichtete, individuelle Appartements kombiniert mit kollektiven Aufenthaltsräumen für eine „lebendige und bewusste Zusammengehörigkeit“. Der „WuWAG-Dampfer“ erfuhr ab den dreißiger Jahren bis hinein ins 21. Jahrhundert viele Umnutzungen. Der Gebäudekomplex der 1927 fertiggestellten Freimaurer-Loge „Odd Fellow“, der Rading angehörte, wurde im Nationalsozialismus zu einem Kino umfunktioniert.

[Beate Störtkuhl/Jerzy Ilkosz (Hrsg.): Adolf Rading in Breslau. Neues Bauen in der Weimarer Republik. De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2019. 426 S. m. 200 Abb., 69,95 €.]

Für beide leer stehenden Bauwerke erhoffen sich die Autoren eine denkmalgerechte Instandsetzung. Der ursprüngliche Zustand der Gebäude ist durch die im Archiv der Berliner Akademie der Künste verwahrten Pläne hervorragend dokumentiert. Die Leiterin des Baukunstarchivs, Eva-Maria Barkhofen, verwaltet sowohl Radings als auch Scharouns Nachlass. Dass sich in ihrer kürzlich erschienenen Monografie zu Hans Scharoun nichts zu seinem Büropartner Rading findet, ist allerdings bedauerlich. Er und seine jüdische Frau Else Leschnitzer mussten 1933 aus Deutschland emigrieren – nach Frankreich, Palästina und London.

Radings Bauten wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, ist das Verdienst des Buches. Auch in Berlin wäre eine Ausstellung seines Werks wünschenswert. Von der Tankstelle über die Apotheke bis hin zur Freimaurer-Loge und der Arbeitslosensiedlung – sein farbenreiches Programm öffnet den Blick für unbekannte architektonische Wege im Neuen Bauen der Weimarer Zeit, die Rading ging. Sie blieben hinter dem Eisernen Vorhang verborgen und sind noch immer nicht wiederentdeckt.

Therese Mausbach

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