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Saxophonistin Asya Fateyeva wird beim Eröffnungskonzert als Solistin „Panic“ von Harrison Birtwistle zu erleben sein. 

© Marco Borggreve

Berliner Festival „Music & Healing“: Wut und Schmerz, Trauer und Ekstase

Das Deutsche Symphonie-Orchester und sein Chefdirigent Robin Ticciati untersuchen im März beim Festival „Music & Healing“ die heilende Wirkung der Töne.

Von Tye Maurice Thomas

Die Vorstellung, dass Musik heilend auf Körper und Psyche einzuwirken vermag, ist seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Traditionen, Mythen und Geschichten verbreitet. Der arabische Arzt und Musiker al-Kindī therapierte im 9. Jahrhundert einen Patienten – nach eigener Auskunft erfolgreich – durch den Klang der Oud, der arabischen Laute.

Platon beschuldigte um 400 v. Chr. bestimmte Musikformen, den Charakter zu verderben. Ein Vorwurf, der überdauerte und auch dem Jazz oder Rock’n’Roll gemacht wurde. Für Martin Luther wiederum war Musik „das beste Labsal eines betrübten Menschen“.

Heutzutage gibt es ausgebildete Musiktherapeuten. In Psychiatrie und Neurologie wird Musik mit nachgewiesenem Erfolg therapeutisch eingesetzt, zum Beispiel zur Anregung des Sprachgedächtnisses bei Schlaganfallpatienten.

Um Musik als erschütterndes und heilendes Hörerlebnis geht es auch beim Festival „Music and Healing“, das am 17., 18., 25. und 26. März in der Philharmonie stattfindet. In vier Konzerten und zwei Symposien laden Chefdirigent Robin Ticciati und das Deutsche Syphonie-Orchester Berlin zur musikalischen Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heilung“ ein.

Die Kraft der Musik

Es gehe hierbei weniger um heilende Musik, sagt Robin Ticciati im Interview, als darum, einen Diskussionsraum herzustellen, in dem über die Bedeutung von Heilung nachgedacht und gesprochen werden könne. Das Festival ist als klangliche und intellektuelle Reise konzipiert, die auch die erschreckenden, schmerzlichen Phasen des Heilungsprozesses nicht unterschlägt. Heilung sei, so Ticciati, nicht unbedingt ein sanfter Prozess. Oft müssten erst schmerzliche Erfahrungen gemacht und Prüfungen durchgestanden werden, bevor sie eintreten könne.

DSO-Chefdirigent Robin Ticciati hat die Programme des Festivals konzipiert.

© Ostkreuz/Joerg Brueggemann

Aus diesem Grund beginnt das Festival am 17. März auch gänzlich unsanft mit Harrison Birtwistles „Panic“ für Altsaxophon, Jazzschlagzeug und Orchester. Der Titel bezieht sich auf Dionysos, den griechischen Gott ekstatischer Raserei, aber auch auf Pan, der mit seinem Schrei „panischen Schrecken“ auslöste.

Wie sehr auch Melancholie eine Phase des Heilungsprozesses bedeutet, machen danach John Dowlands „Semper dolens, semper Dowland“ und Ernest Blochs Hebräische Rhapsodie „Schelomo“ für Violoncello und Orchester deutlich. Christoph Altstaedt wird als Solist zu hören sein.

Verschiedenen Formen der Spiritualität

Nach seinem aufwühlenden Beginn geht der Festivalauftakt mit Igor Strawinskis „Le Sacre du Printemps“ zu Ende. Zwischen den Sätzen wird der südafrikanische Obertonsänger Gareth Lubbe Themen und Motive des Werkes aufgreifen und darüber frei improvisieren. Der rhythmischen und klanglichen Gewalt des Werkes soll der Obertongesang eine heilende, musikalische „Akupunktur“ entgegensetzen.

Das zweite Konzert beginnt tags darauf erst um 21 Uhr. Auch das ist Teil des Konzepts: Zu vorgerückter Stunde entführen der Bundesjugendchor und das DSO unter anderem mit Werken Hildegard von Bingens, Arvo Pärts und Johann Sebastian Bachs in durchgeistigte Sphären und sorgen für Ruhe und Entspannung. Als Soloviolinist ist Hugo Ticciati, der Bruder Robin Ticciatis zu erleben.

„Tristan“ als Finale

Der Zuhörer wird in den vier Konzerten auf eine Reise mitgenommen, während der unterschiedliche, einander sogar widersprechende Interpretationen des Begriffs Heilung kombiniert werden. Im dritten Konzert verleiht die Violinistin Veronika Eberle mit Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ erneut der Trauer Ausdruck, am Ende des Festivals am 26. März hingegen steht mit dem dritten Aufzug aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“ die klanggewordene Entrückung. Die Titelpartien werden Michael Weinius und Dorothea Röschmann interpretieren.

Das Festival, ein Herzensprojekt Robin Ticciatis, ist als ganzheitliches Ereignis konzipiert. Das Rahmenprogramm wird deshalb am 18. und 26. März um zwei Symposien mit anschließender Podiumsdiskussion ergänzt. Je drei Forschende aus Medizin, Musikwissenschaft, Psychiatrie und Neurowissenschaften erörtern im Musikinstrumenten-Museum, direkt neben der Philharmonie, das Zusammenspiel von Musik, Körper und Psyche. Der Eintritt zur Vortragsreihe ist frei, die Anmeldung hierzu auf der DSO-Website möglich.

Diese vielschichtige Perspektive auf das Thema Musik und Heilung entspricht dem Gesamtkonzept des Festivals, das als Zufluchts- und Begegnungsort gedacht ist. Idealerweise sollen die Zuhörer:innen einander in allen Konzerten und Symposien wiederbegegnen, miteinander diskutieren, aber auch neueste Ansätze aus Forschung und Therapie kennenlernen. Natürlich, betont Robin Ticciati, können Interessierte ihr Konzerterlebnis auch selbst gestalten.

Inmitten dieses intellektuell höchst spannenden Festivals versteht sich der DSO-Chefdirigent trotzdem in erster Linie als „Musiker mit einem großen Herzen“. Und bei allem geistigen Anspruch ist die emotionale Ebene das Wichtigste in der Musik.

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