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Kultur: Das doppelte Endspiel

Auf den "Lear", das gewaltig grandiose Alterskönigsdrama, warten wir nicht unbedingt in der freien Produktion einer no-name-Truppe ("Theater T1") in den Berliner "Sophiensaelen". Zumindest nicht am Abend eines Champions-League-Finales, wenn die alten Könige von Madrid gegen die frechen Bastarde von Bayer kämpfen.

Auf den "Lear", das gewaltig grandiose Alterskönigsdrama, warten wir nicht unbedingt in der freien Produktion einer no-name-Truppe ("Theater T1") in den Berliner "Sophiensaelen". Zumindest nicht am Abend eines Champions-League-Finales, wenn die alten Könige von Madrid gegen die frechen Bastarde von Bayer kämpfen. Aber diesmal ist vieles anders. Shakespeares Endspiel, während das wirkliche Endspiel läuft und es in Berlin noch weitere Premieren gibt - doch in die "Saele", die ja nur ein Saal voll wunderbar abblätternder Morbidezza sind, drängen Fans, Kritiker, Künstler.

Hier hat ein junger, bisher nur bei Insidern bekannter Regisseur, Thorsten Lensing, mit einem jungen Team als Titelhelden Matthias Habich gewonnen. Habich, einst Hochbarde des Stadttheaters, Protagonist von Berlin bis Zürich, dann plötzlich auch in Peter Brooks multinationaler Pariser Truppe einer der Könige im zwölfstündigen Endspiel des indischen Mythos, im Weltendämmerungsdrama "Mahabarata"; und ein wunderbarer Altersdarsteller bisweilen im Film und Fernsehen, zuletzt bei den "Jahrestagen". Habich ist Lear. Und Rischbieter Gloster. Das ist die zweite kleine (größere ?) Sensation. Denn Henning Rischbieter, vor 40 Jahren Gründer der Zeitschrift "Theater heute", Berliner Professor und eine deutsche, ja: europäische Instanz, er, der Generationen von Theatermachern entdeckt, gefördert oder bisweilen verdammt hat, er debütiert mit 75 Jahren nun selbst als Schauspieler. Und gleich im "Lear", als Glostergraf, jener Unglückselige, der seinen Lieblingssohn verliert, den der Bastardsohn verrät, dem die wilde böse Lear-Tochter Reagan mit Schuhstiefeln die Augäpfel austreten lässt.

Wie spielt Rischbieter diese Schauerszene des Welttheaters, die ihn zum Bruder Hiobs und des Ödipus macht? Er schließt einfach die Augen.

So pur, so klug und wirkungsvoll geht das in Thorsten Lensings dreistündiger, auf einer Eigenbearbeitung der (nicht genannten) Übersetzung Ludwig Tiecks beruhenden Stückfassung. Kaum Dekoration, nur ein Spielteppich wie bei Peter Brook (an dessen pittoresk abgetakelte alte Bouffes du Nord in Paris der Raum der Sophiensäle ohnehin erinnert). Und wie einst bei Ariane Mnouchkine, als sie mit ihrem Théâtre du Soleil Shakespeares Königsdramen spielte, agieren die Darsteller alle frontal zum Publikum, ohne direkte, psychologische Zuwendung untereinander: eher als Typen, als Erzähler ihrer Rollen - und das ist dann auch die spröd ironische, puritanisch poetische Anspielung an Rischbieters (und Lensings?) Übervater Brecht.

Bis auf ein paar Längen nach der Pause und ein paar Marotten mit immer wieder neu arrangierten gelben Turm- und Zelttüchern im Hintergrund funktioniert das vorzüglich. Franziska Arndt und Anja Marlene Korpiun sind schiefmäulige, biestig lächelnde Mord-Töchter, und Ursina Lardi, eine herb expressive, mit Minimalismen spielende junge Frau, gibt als Doppelrolle die guten Lear- und Glosterkinder Cordelia und Edgar. Überglänzt werden sie von Matthias Habich, in dessen verwittertem Gesicht zwei tolle, junge Augen blitzen. Und Rischbieter ist hier, natürlich, der Amateur. Aber auch das wird, fahl, markant, zur besonderen Farbe.

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