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Kultur: Das Nichts der Häuslichkeit

Wahn und Weiblichkeit: zum Tod der Feministin und Schriftstellerin Betty Friedan

Die Entfremdung des Menschen von sich selbst war das große Thema des 19. und des 20. Jahrhunderts. Die marxistische Philosophie und nicht anders der Existenzialismus schrieben gegen die Daseinsleere an, in der die totalitäre Komfortabilität der modernen Gesellschaft den Einzelnen gefangen hält. Adorno, Sartre, Heidegger – die Liste ihrer Kritiker ist lang. Worüber sie keinen Gedanken verloren: Dass die Selbstentfremdung neben der sozialen und der politischen noch eine dritte, die sexuelle Dimension hat; dass die von der Existenzverwirklichung ausgeschlossenen Außenseiter mitten in der Gesellschaft wohnten (und mancherorts immer noch wohnen). Die Emanzipation der Frau bedeutet die dritte große gesellschaftskritische Bewegung, die das Jahrhundert geprägt hat, und sie war gleichermaßen die unblutigste wie die erfolgreichste von allen. Eine ihrer größten Vorkämpferinnen, Betty Friedan, ist am Samstag an ihrem 85. Geburtstag in New York an Herzversagen gestorben.

Die „Kreuzritterin des Feminismus“, wie sie die New York Times in ihrem Nachruf nennt, ist neben Simone de Beauvoir gewiss die entschlossenste und furchtloseste Protagonistin der Frauenbewegung gewesen. Kaum jemand hat den Kampf der Frau um ihre Befreiung aus dem destruktiven Vakuum der häuslichen Enge so sehr zum öffentlichen Problem gemacht, kaum jemand sie so stark vorangetrieben wie sie. 1921 in Illinois als Tochter eines vermögenden jüdischen Juweliers geboren, durchlief Friedan eine glänzende akademische Laufbahn. 1942 schloss sie ihr Psychologiestudium summa cum laude ab, um ihre Ausbildung an der Berkeley University fortzusetzen.

Dass sie, der alle Türen zu einer brillanten wissenschaftlichen Karriere offen standen, vor dem Wagnis der beruflichen Selbstständigkeit resignierte und ihm die Rolle der Hausfrau und Mutter vorzog, bezeichnet den ersten, negativen Augenblick, der ihr kritisches Bewusstsein zum Erwachen brachte. Wie eine Szene aus einem „Marx-Brothers“-Film, so eine der Frauen, die Friedan nachmals über ihr verstümmeltes Dasein als Ehehälfte befragte, komme ihr ihr Leben zwischen Hemdenbügeln und Broteschmieren vor; dass diese Aussage auch Friedans Selbsteinschätzung reflektierte, legt nicht nur die Scheidung nahe, in die ihre Ehe mit dem Manager Carl Friedman 1969 mündete.

1963 erschien ihr Buch „The Feminine Mystique“ („Der Weiblichkeitswahn“). Das Werk, eine schonungslose Abrechnung mit der als selbstverständlich geduldeten Reduktion der Frau auf Ehe und Mutterschaft, schlug ein wie eine Bombe. Wohl durfte man ihr vorhalten, ihr empirisches Fundament zu der Studie vorzugsweise aus der Beobachtung von Mittelschichtverhältnissen her zu beziehen; der generelle Wert dieser großen Demaskierungsschrift bleibt hiervon indes unberührt. Unerbittlich entlarvt Friedan den „häuslichen Kreis“, den der Freiheitsdichter Schiller noch ganz unrevolutionär besang, als goldenen Käfig, der die in ihm gefangene Frau in die fürchterliche Aporie des horror vacui hineinstößt. „Äußerer Druck beherrscht mein Leben“, fährt die Probandin des zitierten Interviews fort, jede Eigendynamik fällt vor der Verpflichtung zum ehelichen Rollenspiel in sich zusammen .

Diesen Käfig aufzubrechen, gründet Friedan 1966 die National Organization for Woman. Das Gleichheitspostulat von 1776 und 1789 endlich Lebenswirklichkeit auch für die Frau werden zu lassen, ist ihr Anliegen. 1970 organisiert sie den großen Streik um die weibliche Gleichberechtigung in den USA. Eine Hauptforderung geht gegen das Verbot der Abtreibung, den Schlussstein in der Kerkerzelle der Frauenrepression. Polemische Stimmen, darunter ihr geschiedener Mann, zeihen sie noch lange einer universellen Männerfeindschaft. Was sie wirklich verfolgte, war aber eben nicht die Befreiung vom Mann, sondern die Befreiung von der falschen Ordnung, die ein richtiges Leben für Frau und Mann unmöglich macht. Diesen Kampf unbeirrbar geführt zu haben – darin liegt das literarische, das politische Verdienst der Betty Friedan.

Konstantin J. Sakkas

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