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Abgerissen. Die Zufluchtskirche in Berlin-Spandau, Baujahr 1967 nach Entwürfen von Bodo Fleischer, ist seit 2023 Geschichte.

© Gunnar Klack, 2019

Debatte zur Zukunft von Kirchenbauten: Gehören Gotteshäuser allen?

Das „Kirchenmanifest“, eine nichtkirchliche Initiative von Fachleuten, will die Umnutzung von Kirchen zur gesellschaftlichen Aufgabe machen. Jetzt wurde die Aktion in Berlin vorgestellt.

Für die Zufluchtskirche in Spandau kommt das „Kirchenmanifest“ zu spät. Das zackige Betongebilde der Nachkriegsmoderne, in den 60er Jahren von Bodo Fleischer entworfen, wurde im vergangenen Jahr abgerissen. Nicht erhaltbar, befand die Kirchengemeinde – gegen den Protest der auf die Bedeutung wichtigen Bauerbes pochenden Architektenkammer.

Mitten in diese widerstreitenden Interessen, die mit der Debatte über die Umnutzung oder den Abriss von nicht mehr genutzten Kirchenbauten einhergehen, hat sich im Mai eine Initiative von Baukulturforschern, Architekten, Kunsthistorikern und Denkmalschützern begeben. Auf der Internetseite Kirchenmanifest.de und der Petitionsplattform Change.org haben sich bisher rund 17.000 Unterzeichner für die Initiative „Kirchenmanifest – Kirchen sind Gemeingüter“ ausgesprochen.

40.000 Unterschriften sollen es werden, wie Karin Berkemann, eine der Initiatorinnen, am Dienstagabend in der Berliner Parochialkirche sagt. Analog zu den rund 40.000 evangelischen und katholischen Kirchen, die in Deutschland existieren und deren Erhaltung in Zeiten abnehmender Religiosität, anhaltender Kirchenaustritte und damit geringerer Finanzmittel nach Auffassung des „Kirchenmanifests“ zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden sollte.

„Volkskirche, das war einmal“, fasst es die Kunsthistorikerin und Theologin zusammen, als sie die Thesen zur Bedeutung der Bauten vorstellt, die das Kirchenmanifest formuliert. Ihr Tenor: Kirchen sind mehr als Immobilien.

Umnutzung. Die Kirche St. Ursula in Hürth-Kalkscheuren, NRW, Entwurf: Gottfried Böhm, wurde 2011 zur Böhm-Chapel mit wechselnden Kunstausstellungen umgewandelt.

© Felix Hemmers, Baukultur NRW

Zumindest mit der Idee, die Verantwortung für die nicht nur sakral, sondern auch architektonisch, kulturell und sozial bedeutsamen Gebäude vergesellschaften zu wollen, wenn finanzklamme Gemeinden sie nicht mehr tragen können, stößt die nichtkirchliche Initiative bei den Kirchen auf offene Ohren. Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) und auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz haben sich gerade gemeinsam (!) zum „Kirchenmanifest“ positioniert und den Vorstoß begrüßt.

EKD und Katholische Kirche gemeinsam

Beim Diskussionsabend „Die Kirchenbauten gehören allen!“ stimmt dem Johann Hinrich Claussen, der EKD-Kulturbeauftragte, genauso zu wie Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros Berlin. Beide betonen jedoch auch, dass Konzepte der Um- und Weiternutzung für aufgelassene Bauten bei evangelischer und katholischer Kirche seit Jahrzehnten ventiliert und praktiziert werden.

Besonders Jüsten pocht darauf, dass Sakralgebäude zwar ideell ein öffentlicher Raum seien, aber laut Eigentumsordnung Kirchengemeinden, Klöstern, Bischöfen gehörten. Keine Nutzungsdebatte ohne Eigentümer also.

Galerist Johann König und St. Agnes

Als Jüsten, Claussen und auch Andreas Eisen vom Genossenschaftsverband auf die Notwendigkeit der Realisierbarkeit und Finanzierung möglicher Nachnutzungskonzepte pochen, macht sich Ursula Schirmer von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz für den Glauben an das Engagement von Bürgern stark, die ihre Stadtteil- oder Dorfkirche als Kultur- oder Gemeinschaftsort erhalten wissen wollen. „Da brauchen die Kirchen mehr Gottvertrauen.“

Außerdem sei die Erhaltung historischer Bausubstanz – im „Kirchenmanifest“ wird ausdrücklich auch die Moderne dazugezählt – in Sachen Ressourcenschonung das Gebot der Stunde. Umbau und Umnutzung geht vor Abriss und Neubau, das ist seit der Erderwärmung auch in der umweltbewussten Architekturszene Konsens.

Aber eben nicht notwendigerweise in den finanzklammen Eigentümergemeinden. „Viele Kirchen aus den 60ern will einfach niemand haben“, sagt Karl Jüsten. Dafür der Galerist Johann König, der sich aus dem Publikum zu Wort meldet.

König hat St. Agnes, den von Werner Düttmann entworfenen Brutalismus-Bau in Kreuzberg, im Erbbaurecht von der katholischen Kirche erworben und zum Ausstellungsort gemacht. Ein kostspieliges Vorzeigeprojekt, das kaum als bundesweite Blaupause taugt. Nicht jede Kirche ist auch ein Baudenkmal.

Dass das „Kirchenmanifest“ der Debatte zur Zukunft der Kirchen, die Orte prägen, Identität stiften und Gemeinschaft nicht nur durch Gottesdienste, sondern auch durch Suppenküchen und Konzerte erzeugen, eine größere Öffentlichkeit verschafft, ist ein wichtiger erster Effekt. Jetzt müssen Nutzungsideen und womöglich auch neue Trägerschaften her.

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