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Na, ihr kleinen Fragmente?! Die 1987 geborene Schriftstellerin Johanna Maxl.

© Jakub Šimcik/Verlag Matthes & Seitz

Debütroman von Johanna Maxl: Wilde Reise durch die Postmoderne

Overload unserer total vernetzten Welt: Johanna Maxls Debütroman „Unser großes Album elektrischer Tage“ ist eine irrwitzige Tragikomödie in 14 Akten.

Das 21. Jahrhundert neigt sich dem Ende entgegen. Smog und Waldbrände verdunkeln den Himmel; wer der ubiquitären Überwachung entkommen will, verschwindet „in den Slums von Europa“. Unsere Ära der lustvollen Selbstoptimierung, des spielerischen Gender Bending, des Individualisierungs- und Abgrenzungswahns blitzt noch hier und da auf in der kollektiven Erinnerung, mal wehmütig, mal durchzogen von leisem Spott: „Auf den Straßen trugen die Frauen Bärte, denn es war Mode, mit Kajal oder Kakao aufgemalt, tätowiert, klassisch angeklebt, mit Spikes, mit Glitzersteinen.“

So weit die Ausgangssituation in Johanna Maxls Debütroman „Unser großes Album elektrischer Tage“. Wobei die Bezeichnung „Roman“ den atemlosen Momentaufnahmen der 1987 geborenen Absolventin des Leipziger Literaturinstituts kaum gerecht wird. „Album“ passt besser: In rasantem Tempo rauschen schlaglichtartig beleuchtete Szenen vorbei, die zwar keine kohärente Story ergeben, aber den Zeitgeist unseres digitalisierten, hyperrealen Jetzt treffend einfangen.

Metatextuelle Verwirr- und Vexierspiele

Es spricht ein Chor verlassener Kinder – vielstimmig, wandelbar, immer ein twittertaugliches Bonmot auf den Lippen. „Hinter jeder Traurigkeit steht ein Kingsize Bett, auf dem wir zu Coco Jamboo hüpfen“. Oder: „Nichts kann uns mehr schocken. Kunst wäre gern die Ausnahme“. Ohne Skrupel wildern sie in Hoch- und Popkultur; die Zitatcollage reicht von Susan Sontag bis Angel Haze, von John Waters bis Joseph von Eichendorff. Wollte man in diesem kuriosen Buch eine Hauptfigur benennen, so wäre das zweifellos „unsere Johanna“, die verschwundene Mutter der frühreifen Bande. Ihre Abwesenheit überstrahlt oder verdüstert alles, während die Suche nach ihr sich zum zentralen Motiv entwickelt, das nach und nach die fehlende Handlung wettmacht. Miniatur für Miniatur setzt sich Johanna zusammen aus Erinnerungen, Projektionen, Albträumen – nur um gleich wieder in ihre widersprüchlichen Bestandteile zu zerfallen. Sie ist die Fürsorgliche, die Apfelkuchen backt und ihre Kinder mit Grashalmen bestreut, der Teenie, der sich in seinem Zimmer einschließt und Björk laut aufdreht, die Gewalttätige, die mit Blumenvasen wirft. Oder war das alles nur Spaß? „Ich bring euch alle um“, erinnern sich die Kinder, habe Johanna eines Nachts gesagt. Oder war es: „Ich steh hier nur so rum“?

Johanna ist Blackbox und Sukkubus, „unser goldener Motor“ oder auch „die Entzündung, die in uns pocht“. Sie ist verführerisch und toxisch, wie manche Menschen, wie manche Drogen, wie das Internet. Mal wird sie getrieben von zutiefst menschlichen Begierden, mal blickt sie auf ihre Geschöpfe herab wie ein skeptischer Gott („Na, ihr kleinen Fragmente?“) und weist damit zugleich über den Text hinaus zum Autor-Ich.

Zugegeben, Lust an metatextuellen Verwirr- und Vexierspielen sollte man mitbringen, um diesem Anti-Roman etwas abzugewinnen. Doch selbst möglichen Lektüre-Frustrationen begegnet Maxl ganz nonchalant, indem sie derlei Regungen flugs einbezieht in ihre literarische Mise en abyme. „In Wirklichkeit fahren wir die ganze Zeit nur durch die Geisterbahn, wo man uns diese ganze bescheuerte Suche samt Johannas Verschwundensein vorgaukelt“, mutmaßen die Kinder an einer Stelle. Allerdings ahnt man bereits: Wenn die junge Autorin einen Satz mit „in Wirklichkeit“ beginnt, ist besondere Vorsicht geboten.

Keine Länder mehr. Keine Familien

Wurde Johanna von einem oder einer ihrer zahlreichen Lover entführt? Tanzt sie bis in alle Ewigkeit in irgendeiner Disco, in der die Zeit stehen blieb? Oder hat sie sich in ihren ständig wechselnden Verkleidungen, ihrer alltäglichen Performance so perfekt versteckt, dass sie neben ihren Kindern hergehen könnte, und sie merkten es nicht?

Gesicherte Antworten oder gar Beweise für oder gegen ein Verbrechen liefert Maxl nicht. Dafür nimmt sie uns mit auf eine unterhaltsame spekulative Reise durch die Postmoderne, von ihrem imaginierten Untergang her gedacht. Herausgekommen ist eine irrwitzige Tragikomödie in 14 Akten, die sich gerade noch ernst genug nimmt, um nicht ins Beliebige abzurutschen. En passant veranstaltet Maxl jede Menge Gender Trouble, ruft die Apokalypse auf, nur um sie als Gimmick zu entlarven, parodiert Produktivität und Exzess, Gesundheitswahn und Selbstzerstörung.

Das ist ziemlich viel für 200 Seiten. Beim Lesen überkommt einen gelegentlich ein Schwindelgefühl, so perfekt spitzt Maxls „Album“ den täglichen Overload unserer total vernetzten Welt zu. Die gespannte Erwartung des großen Knalls zittert zwischen den Seiten. „Eines Tages, sagte Johanna, endet die Zugehörigkeit. Keine Länder mehr. Keine Familien.“ Ist das nun Utopie oder Dystopie? Vielleicht entpuppt sich die absolute Offenheit letztendlich auch als Gaukelei, als leeres Versprechen. „Dann prustete sie los.“

Johanna Maxl: Unser großes Album elektrischer Tage. Roman. Matthes und Seitz, Berlin 2018. 200 Seiten, 20 €.

Anja Kümmel

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