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Trio plus Gast. Bill Frisell (mit Gitarre) mit Rudy Royton, Thomas Morgan und Immanuel Wilkins.

© Daniel Dittus

Der dissonante Träumer: Jazzgitarrist Bill Frisell in der Elbphilharmonie

Vier Konzerte in zwei Tagen: Die Reihe „Reflektor“ präsentiert den eigensinnigen Musiker mit unterschiedlichen Ensembles.

Von Gregor Dotzauer

Wow, sagt er mit seinem scheuen Lächeln und lässt den Blick bis unter die Decke der ausverkauften Elbphilharmonie schweifen. Wow! Amazing! Thank You! Damit ist für die nächsten anderthalb Stunden bis auf die namentliche Vorstellung der drei „Freunde“, die sich um ihn auf der Bühne scharen, auch schon alles gesagt. Alles und nichts, was es überhaupt nur zu erwähnen gilt, weil Bill Frisells notorische Wortkargheit ihr Pendant in der Musik hat. In einem Stocken, das zugleich einen Fluss erzeugt, einer der Gitarre abgerungenen, im ersten Moment linkisch hingeworfenen Phrase, die sich im Weiteren unerwartet entfaltet, einem sanftmütig mit sich und der Sache beschäftigten Autismus, der dennoch das Publikum umgarnt und umarmt.

Vier Arten, Bill Frisell zu betrachten. Hamburg macht es im Rahmen seiner „Reflektor“-Reihe mit vier Konzerten in zwei Tagen möglich, wobei vor allem durch die Mitmusiker ein jeweils anderes Licht auf ihn fällt. Er selbst zeigt sich inmitten des Wandelbaren von erstaunlicher Unwandelbarkeit. Es ist der abgeklärte 72-jährige Frisell, der einem hier entgegentritt, unterwegs auf einer eigenen Never Ending Tour, mit sich ständig vermehrenden Songs aus mehreren Jahrzehnten im Gepäck, über die er auch in der tausendsten Wiederholung so zu staunen versucht, als wäre er ihnen nie zuvor begegnet. Da macht es auch nichts, wenn er als Rausschmeißer den scheinbar unvermeidlichen Burt-Bacharach-Evergreen „What the World Needs Now Is Love“ anstimmt.

Gelassenes Tönepflücken

Gelassen pflückt er Ton um Ton aus den Harmonien, lässt seine berühmten Flageoletts funkeln und speist hin und wieder Linien in den Looper oder das Reverse Delay. Nur kurz findet er zu aggressiveren, rockig verzerrten Klängen. Zumindest dem jüngeren Frisell waren sie geläufig, bis hin zu Schredderübungen, ohne dass er jemals etwas anderes als ein „Beautiful Dreamer“ gewesen wäre, wie ihn Philip Watsons erschöpfende, im vergangenen Jahr bei Faber & Faber erschienene Biografie nennt. Ein Träumer, den eben manchmal der Alp drückte.

Im jazzigen Verbund mit seinem um den edelschlanken Sound des derzeit populärsten Altsaxofonisten Immanuel Wilkins erweiterten Trio mit Thomas Morgan am Bass und Rudy Royston am Schlagzeug, der dem abendlichen Wow folgt, agiert er höchstens prominenter als im nachmittäglichen Auftritt von Harmony. Bis zurück zu Stephen Fosters „Hard Times Come Again No More“ aus dem Jahr 1854 hebt dieses wunderbare Quartett mit der Sängerin Petra Haden, dem Cellisten Hank Roberts und dem zweiten Gitarristen Luke Bergman die folkloristischen Schätze der USA.

Harmony scheut sich weder, im dreistimmigen A-Cappella  (mit stummem Frisell) den Cowboy-Song „Red River Valley“ neu zu beleben, noch „Where Have All the Flowers Gone“ aufzusammeln oder in David Bowies „Space Oddity“ einen jungen Klassiker zu entdecken. Doch auch in diesem Umfeld ganz im Dienst der Lieder stehenden Wohlklangs leistet er, der Arrangeur, als Instrumentalist Widerstand gegen das allzu Glatte.

Monk ohne Ecken

Bill Frisell ist ein Mann der unauffälligen Dissonanzen. Er hat oft genug gestanden, wie viel sein Spiel den Kanten und Ecken von Thelonious Monk verdankt, nur dass sie, selbst wenn er in Hamburg dessen Kompositionen „Misterioso“ oder „Blue Monk“ zelebriert, wie abgerundet wirken. In seinen Sekundballungen klirrt und schrillt nichts, weil sie sich entweder um eine kräftige, das Ohr versöhnende Terz anlagern, oder so langsam in seinen Schwebesounds vorüberziehen, dass sie ihren Schrecken verlieren. Die einsamen Septimen und Nonen, mit denen er Themen einleitet, klingen nicht viel fremder als die Country-Sexten, mit denen er eingängigere Songs verziert.

Musikalische Chemie. Ambrose Akinmusire (l.) und Bill Frisell

© Daniel Dittus

Gitarristen in aller Welt sind diesem Eigensinn in zahllosen Transkriptionen nachgegangen. Doch obwohl er sich mehr oder wenig imitieren ließe, hat Bill Frisell keine Epigonen, sondern vor allem Bewunderer hervorgebracht. Unter den großen Gitarristen seiner Generation ist er neben Pat Metheny und John Scofield sicher derjenige, der am wenigsten in seiner Markenhaftigkeit erstarrt ist. Wer mit ihm ins Studio geht oder auf die Bühne, erwartet eine echte Begegnung – nicht nur einen Namen.

Die Bill Frisell Five im Schlusskonzert umfassen die Bassisten und Schlagzeuger seiner beiden langjährigen Trios, von denen sich keinem der Vorzug geben lässt. Das mit Thomas Morgan und Rudy Royston ist vielleicht das filigranere und wendigere, das mit Tony Scherr und Kenny Wollesen das kompaktere. Mit ersterem lebt Frisell eher seine jazzige Seite aus, mit letzterem seine Pop- und Nashville-Seite. Zum Quintett vereint, könnte man hoffen, dass sich beider Stärken potenzieren. Doch hier kommen sich erst einmal Instrumente ins Gehege, die sich zu sehr auf demselben Terrain bewegen, als dass sie nicht alles daransetzen müssten, einander aus dem Weg zu gehen.

Ringen um ein Ganzes

So teilen sich Morgan und Scherr abwechselnd das Zupfen und das Streichen, und Royston, eigentlich ein Wunder dynamischer Möglichkeiten, blüht erst auf, sobald Wollesen ans Vibraphon wechselt. Nicht nur das: Im Ringen um ein Ganzes behält die Americana-Fraktion die Oberhand. Scherr und Wollesen ziehen dem Geschehen ein Rückgrat ein, zu dem sich Royston und Morgan nur verdoppelnd oder kolorierend verhalten können. Die schöne Idee von der Supergroup findet hier ihre Grenzen: Beide Trios sind sich im Grunde selbst genug. Selbst Immanuel Wilkins am Abend zuvor bleibt mit seinen Beiträgen bis auf ein ekstatisches Solo am Ende, das alle aus ihrer temperierten Stimmung reißt, außen vor.

Der mit stiller Andacht und stürmischer Begeisterung gefeierte Höhepunkt der beiden Tage ist indes die sonntagnachmittägliche Begegnung des Trompeters Ambrose Akinmusire mit Frisell, und auch die beiden selbst scheinen sie als Ereignis zu erleben. Jeder für sich hat Soloalben veröffentlicht, Akinmusire zuletzt „Beauty Is Enough“ und Frisell „Music Is“. Mitte Dezember erscheint mit Unterstützung des Drummers Herlin Riley ihr Album „The Owl“ auf Nonesuch.

Doch spontaner, konzentrierter und ungeschützter als in diesem schönheitsstrunkenen Dialog kann man sie nicht hören: Akinmusire mit einem lyrischen Strahlen, das sich hin und wieder Ausbrüche ins Fahle und Kieksende erlaubt, Frisell mit seinem skelettierenden Zugriff auf die harmonische Pracht, die andere rein sentimental in den Vordergrund stellen würden.

Keine der vier Hamburger „Reflektor“-Konstellationen ist eine Premiere: Es dürften Programme sein, die Frisell selbst vorgeschlagen hat. Man hätte sie getrost zu einem Porträt ausweiten können. Es gibt, unter anderem, auch einen komplex komponierenden, insbesondere Aaron Copland verpflichteten Frisell. Dem Glück, in so kurzer Zeit soviel Frisell zu erleben, nimmt das nichts.

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