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Kultur: "Die Juden sind außer Kategorie"

Peter Handke ist nun offenbar über seine eigenen Worte erschrocken.Der bei Paris lebende Schriftsteller hat dem Münchner Magazin "Focus" einen Brief geschickt, der mit dem Satz beginnt: "In meinem auf französisch geführten Gespräch mit dem jugoslawischen Fernsehen in Rambouillet habe ich mich einmal verhaspelt.

Peter Handke ist nun offenbar über seine eigenen Worte erschrocken.Der bei Paris lebende Schriftsteller hat dem Münchner Magazin "Focus" einen Brief geschickt, der mit dem Satz beginnt: "In meinem auf französisch geführten Gespräch mit dem jugoslawischen Fernsehen in Rambouillet habe ich mich einmal verhaspelt." Das TV-Interview wurde am Rande der Kosovo-Friedenskonferenz geführt und während der Verhandlungen in Schloß Rambouillet am 18.Februar vom serbisch-jugoslawischen Staatsfernsehen in Belgrad ausgestrahlt.Letzten Sonntag übernahm der ARD-"Kulturreport" Passagen aus dieser Sendung, die auf 3sat in der vergangenen Woche wiederholt wurden - und mehr als nur Verwunderung auslösten.

Handke sagte, in wörtlicher Übersetzung der französischen Äußerungen: "Ich wäre gerne in Serbien, wenn die Bomben auf Serbien fallen.Das ist mein Ort.Ich verspreche Ihnen, wenn die Kriminellen der NATO bombardieren, komme ich nach Serbien." Kurz darauf fuhr er fort: "Was die Serben seit fünf, mehr noch, seit acht Jahren durchgemacht haben, das hat kein Volk in Europa in diesem Jahrhundert durchgemacht.Dafür gibt es keine Kategorien.Bei den Juden, da gibt es Kategorien, man kann darüber sprechen.Aber bei den Serben - das ist eine Tragödie ohne Grund.Das ist ein Skandal."

Bevor diese Sätze nun selber zum Skandal werden, bedürfen sie wohl der Interpretation: Meinte Handke, der Holocaust sei in Kategorien, in Begriffen zu erklären (oder erklärt worden), während die Opfer der Serben im jüngsten Balkankrieg - im Unterschied zu den Juden? - "ohne Grund" gestorben seien?

Klar ist immerhin zweierlei: Handke hat den Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien von Anfang an als das Ende auch einer kulturellen Vielfalt (und europäischen Utopie) beklagt, ja: betrauert.Aber er hat zugleich in immer polemischerer Weise Partei ergriffen für die serbische Seite, hat serbische Kriegsverbrechen, hat Konzentrationslager, Massenmorde und Massenvergewaltigungen entweder als westliche Medien-Erfindungen abgetan oder verharmlost (für Handke könnte man hier die Worte "Omarska-" und "Srebrenica-Lüge" erfinden).Zudem hat er die Opfer verspottet: sie trügen nur "Martermienen zur Schau".Erst unlängst höhnte er in einer österreichischen Zeitschrift über "diese Pseudodichter in Sarajevo", nämlich "irgendwelche Ali Muhmets", die jetzt "wieder die üblichen Trinker wahrscheinlich" seien.

Andererseits aber gab es bisher keinen Zweifel: Der 56jährige gebürtige Kärtner ist kein Antisemit - und war immer ein erklärter Gegner beispielsweise eines Jörg Haider.Umso mehr stürzte er jetzt seine Anhänger in peinliche Verlegenheit.Bei Suhrkamp, Handkes (und Martin Walsers) Frankfurter Verlag, hat man sich noch kaum von der Walser-Debatte erholt, und über die verdeckte Empörung legte sich die Sprachregelung: Man würde Handkes jüngste Sätze nicht drucken - doch gelte es zu unterscheiden zwischen politischen ("privaten") Meinungsäußerungen und literarischen Texten.Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, der sich offiziell nicht äußern wollte, weiß hierbei, daß es für ihn, der auch Leiter des Jüdischen Verlages in Frankfurt ist, trotz jahrzehntelanger Verbundenheit mit Handke eine Grenze des Tolerablen gibt.Zumal andere Suhrkamp-Autoren auf Klärung dringen.

Offenbar auf Drängen Unselds und des ("Focus"-)Verlegers und Handke-Freundes Hubert Burda ist es jetzt zu Handkes Dementi-Brief gekommen, der morgen in "Focus" erscheint.Darin heißt es zum "Verhaspeln", er habe eigentlich "das gerade Gegenteil sagen" wollen.Handke: "Zum Thema Juden(vernichtung) gibt es keine Kategorien.Die Juden sind außer Kategorie.Darüber gibt es nichts zu sagen (daran ist nicht zu rütteln).Das Volk aber, das in diesem Jahrhundert (nach den Juden) am meisten in Europa gelitten hat (durch die Deutschen, die Österreicher, die katholischen Ustascha-Serben), das sind für mich die Serben.Und was man dem serbischen Volk angetan hat und jetzt weiter antut, das geht über mein Verstehen." Hierauf folgt als Retourkutsche auf Kritik am Fernsehinterview noch eine Schelte der Medien ("allen voran die FAZ"), diese seien "mehr und mehr von Maulwerkern bevölkert, von Anti-Lese-Ratten".

Das Dementi liegt in der Relativierung des Serben-Leids: in den drei Worten "nach den Juden" - die für Handke, der diesmal auf deutsch geschrieben hat, gleichsam außer Konkurrenz ermordet wurden.Doch auch der Rest macht weiter kopfschütteln.Nicht schweigen.Zumal Handke im serbischen Fernsehen "die westliche Welt" und ihre Balkan-Helfer, undementiert, als "elegante Desperados unter dem Deckmantel des Menschlichen" bezeichnet und sich zu dem Wunsch verstiegen hatte: "Manchmal wäre auch ich gerne ein serbisch-orthodoxer Mönch, der für das Kosovo kämpft."

Zum Zerwürfnis über diese Haltung gekommen ist es bereits zwischen Handke und seinem einstigen Freund und Regisseur Luc Bondy.Und Claus Peymann, der in Wien jetzt Handkes neues Balkan-"Stück zum Film vom Krieg" inszeniert, hält sich in der Sache bedeckt.Er verschickt stattdessen ironische Launigkeiten: "Der Regisseur trägt während der Probenzeit Ohrenstöpsel" (Tsp.vom 13.3.).Freilich drohen nun weitere Abspaltungen in Peymanns Ensemble.Das Burgtheater, zehn Jahre nach Bernhard: ein Kriegsheldenplatz?

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