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Klassik und Streaming: Die Welt ist keine Silberscheibe

Allmählich gewöhnen sich auch die Klassikfans ans Streaming. Anbieter wie der Berliner Streamingdienst Idagio erhoffen sich Gewinnchance auf dem wachsenden Markt.

Die Berliner Philharmoniker wollen immer ganz vorne mitspielen: Darum haben sie jetzt erstmals eine Aufnahme ausschließlich als Stream veröffentlicht. Also in rein digitaler Version, die nur über Musik-Plattformen im Internet abrufbar ist. Oder auf der orchestereigenen Website www.berliner-philharmoniker-recordings. com als Download erworben werden kann. Eine CD von den drei letzten Mozart-Sinfonien, die das Orchester mit Simon Rattle eingespielt hat, wird nicht produziert – für Klassikfans eine gewöhnungsbedürftige Vorstellung.

Immer noch dominiert in diesem Bereich des Musikmarkts das Bedürfnis nach physischen Tonträgern. Viele Aufnahmen sichtbar in seiner Wohnung aufzubewahren, gilt als Statussymbol. Als die Philharmoniker jüngst eine im traditionellen Direktschnittverfahren hergestellte Sechs-LP-Box mit den Brahms-Sinfonien herausbrachten, war die Auflage ruckzuck vergriffen – trotz des Liebhaberpreises von 500 Euro pro Box.

Neben dem Vinyl-Retrotrend ist der Klassikhörer aber auch neugierig auf die Möglichkeiten der Streamingdienste. So richtig willkommen aber fühlt sich der Fan von Abbado, Barenboim, Chailly und Co. bei den konventionellen Anbietern wie Spotify allerdings nicht. Weil dort das Angebot grundsätzlich nach „Künstlern“ und „Songs“ sortiert wird. Eine Sinfonie setzt sich jedoch nicht aus vier Liedern zusammen, sondern aus Sätzen. Und wenn es darum geht, bestimmte Werke in konkreten Interpretationen herauszufiltern, womöglich gar Opernaufnahmen mit vielen Beteiligten zu finden, wird die Suche schnell zum Glücksspiel.

Zielgruppe sind technikaffine Kenner des Genres

Hier sehen Firmen wie Idagio ihre Chance. Der Musikmanager Till Janczukowicz hat die ganz auf Klassik spezialisierte Plattform im Herbst 2015 zusammen mit Christoph Lange gründet, der Erfahrungen aus dem technischen Bereich mitbrachte. Das Start-up mit derzeit 24 Mitarbeitern will von der Berliner Reinhardtstraße aus eine klassisch orientierte Netzgemeinde aufbauen. Der etwas gespreizte Name, eine Kombination aus dem ersten Buchstaben der Apple-Geräte und einer italienischen Tempoangabe, zeigt an, wo die Macher ihre Zielgruppe sehen: bei technikaffinen Kennern des Genres. „Unsere Nutzer sind zwischen 35 und 55 Jahre alt“, betont Janczukowicz nicht ohne Stolz. Das ist genau jene Alterskohorte, die auch die Konzerthäuser gerne hätten. Leute, die aus beruflichen oder familiären Gründen keine Zeit für Live-Kultur haben, behelfen sich immer häufiger mit Streaming.

Für sie will Idagio ein digitaler Freund sein: Sie sollen hier Aufnahmen nach Interpreten, Instrumenten oder Stimmungen geordnet finden und sich über ihre Höreindrücke austauschen können. Knapp acht Euro kostet das Abo im Monat. Die Künstler wiederum will Janczukowicz dadurch angemessen entlohnen, dass nicht pauschal pro gehörtem Track abrechnet wird, sondern nach der tatsächlich gehörten Zeit. Bei langen Sätzen wie beispielsweise dem Adagio aus Bruckners Achter ist es in der Tat sinnvoll zu unterscheiden, ob der Nutzer nur kurz reingehört oder die kompletten 27 Minuten durchgehalten hat. Eine „faire Teilhabe am digitalen Ökosystem“ nennen die Idagio-Macher das.

Bis jetzt nur fünf Prozent des Umsatzes für Klassik

Für Orchester, die über keinen Vertrag mit einer Plattenfirma verfügen, bieten die spezialisierten Streaming-Plattformen aber auch eine Chance, ihre Aufnahmen im Netz zielgruppenorientiert zu verbreiten. Vom WDR-Sinfonieorchester aus Köln finden sich auf Idagio bereits über 20 Aufnahmen, auch das Berliner Konzerthausorchester ist präsent. Und Starpianist Ivo Pogorelich hat vor Kurzem hier exklusiv seine erste Aufnahme seit 18 Jahren veröffentlicht, Beethovens Klaviersonaten Nr. 22 und 24.

Das Klassikbusiness ist eine Nische, nur fünf Prozent des Umsatzes entfallen auf diesen Bereich. Angesichts der Wachstumsprognosen erhoffen sich dennoch mehrere Wettbewerber Gewinnchancen. Neben Idagio, die mit rund 70 000 verfügbaren Aufnahmen noch ein recht übersichtliches Angebot haben, konkurrieren auch „Grammofy“ und die „Naxos Music Library“ um Neukunden. Eine der umfangreichsten Listen, auch in der Klassik, offeriert der französische Allround-Anbieter mit dem unaussprechlichen Namen Qobuz (Monatsabo 9,99 Euro) mit 40 Millionen Titeln. Ein Forum gibt es dort allerdings nicht.

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