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Schrei dich frei. Rainer (Hanno Koffler) und Tochter Doreen (Dora Zygouri).

© Kurhaus Production

Sommer Berlinale: Eine Familie kämpft um die Existenz: Druck auf dem Kessel

Einstecken oder austeilen: Mia Maariel Meyer, Hanno Koffler und ihr Sozialthriller „Die Saat“ in der Perspektive Deutsches Kino.

Du erntest, was du säst. Dieses biblische Gesetz hat es bruchlos in die Gegenwart geschafft. Zumindest wenn man der Regisseurin Mia Maariel Meyer und ihrem Ko-Autor glaubt, dem Schauspieler Hanno Koffler.

Ihr Gemeinschaftswerk „Die Saat“ ist der einzige Spielfilm in der Reihe Perspektive Deutsches Kino. Die vier anderen im Summer Special gezeigten Filme der Sektion für den Regienachwuchs sind entweder dokumentarisch oder halbdokumentarisch angelegt.

Abstiegskampf in Cinemascope

„Die Saat“ erzählt in naturalistischen Cinemascope-Bildern von einer Familie, die gegen den Abstieg kämpft. Rainer, den Hanno Koffler auch selber spielt, ist Fliesenleger. Ein Handwerker, der auf der Baustelle und als Vater alles richtig machen will.

Ehefrau Nadine (Anna Blomeier), eine Krankenschwester, erwartet das zweite Kind. Aus ihrer alten Wohnung mussten sie raus. Jetzt drückt sie der Kredit, den sie für ein Häuschen vor der Stadt aufgenommen haben.

Dessen Renovierung steht nach Feierabend an. Tochter Doreen, zwölf, die von der großartigen Dora Zygouri gespielt wird, vermisst ihre Freundin und das alte Zuhause.

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Diese fragile Balance kommt ins Rutschen, als der Zeitdruck auf Rainers Baustelle wächst und ihm der versprochene Posten des Bauleiters vorenthalten wird. Als ihm ein neuer Chef vor die Nase gesetzt wird, der den Zeitdruck auf die Arbeiter unerbittlich erhöht, mehren sich auch die familiären Konflikte.

Statt Familien- oder Sozialdrama nennen Meyer und Koffler „Die Saat“ einen "social thriller". Das betonen sie beim Treffen auf einer Kreuzberger Parkbank. Den klassischen Genres hafte etwas Verstaubtes an, glaubt Meyer. Da habe sie sich lieber bewusst der Thriller-Elemente Spannung und Erleichterung bedient, auch im Schnitt und auf der Tonebene.

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„Mir geht es um mehr als eine intellektuelle Kritik am Kapitalismus. Nämlich um den brisanten und sehr aktuellen Existenzkampf einer Mittelstandsfamilie, die als Kernbaustein der Gesellschaft allmählich zerbröselt.“ Tatsächlich merkt man „Die Saat“ zu Beginn ein wenig die Thesenhaftigkeit an.

Doch nach dem ersten Drittel entwickeln die parallel inszenierten Konflikte von Rainer und Doreen, die sich gegen die falsche Freundin Mara aus der Nachbarschaft behaupten muss, ihren eigenen tragischen Sog, der universelle Fragen aufwirft. Wie lange lässt sich ein Mensch demütigen, bevor er zurückschlägt? Ist die Gute immer die Verliererin? Sind Kinder verdammt, die Verhaltensmuster der Eltern zu wiederholen?

Sie leben mit ihren Kindern in Berlin

Fünf Jahre haben Meyer und Koffler an ihrem Stoff gearbeitet. Die Filmemacherin, Jahrgang 1981, und der 1980 geborene Schauspieler lernten sich 2014 bei Meyers Film „Treppe aufwärts“ kennen. Inzwischen sind sie ein Paar, die Familie lebt in Berlin.

Obwohl Mia Maariel Meyer für ihr Dokuformat „140 Sekunden“ den Grimme Online Preis gewann und Hanno Koffler sich mit mutigen Rollen in „Härte“ und „Freier Fall“ profiliert hat, sind ihnen die kritisch verhandelten Filmthemen durchaus vertraut. Der Druck, Jobs zu finden, die Kinder gut zu betreuen, sie vor den Ängsten der Erwachsenen zu schützen. Den Spagat zwischen Familie und Arbeit hinzubekommen, sei eine große Aufgabe, sagt Koffler. Und Meyer geht noch einen Schritt weiter: Sie stellt infrage, dass Arbeitswelt und Gesellschaft dafür ausgelegt sind, Familien die Existenz zu ermöglichen.

Filmemacherin Mia Maariel Meyer.

© Kurhaus Production

In „Die Saat“ zeigt sich diese als gefährdetes, aber warmherziges, widerständiges Gebilde. Nachdem die überarbeitete Nadine ins Krankenhaus muss, werden der angeschlagene Rainer und die angeschlagene Doreen einander zu Stütze und Stab. Ohne große Worte, einfach durch kleine Gesten der Fürsorge.

Genau das wollte Hanno Koffler: eine Vater-Tochter-Geschichte erzählen. Mia Meyers Ausgangsthema war die Frage, wie Gewalt in eine heile Familie eindringt. Doch die Idee, dass die Gewalt der Ursprung der Geschichte sei, habe sich beim Schreiben als Irrtum erwiesen. „Die Gewalt entpuppte sich als Resultat. Am Anfang steht der auf die Menschen ausgeübte Druck, der immer mehr an Spannung zunimmt.“

Der Vater scheitert als Beschützer

Wie der Gefühlskessel in einer virtuos geschnittenen Doppelszene schließlich bei Rainer und Doreen explodiert, ist dramatisch und tragisch zugleich. Besonders für den Vater, der mit dem Versuch, Frau und Kind vor der Härte des beruflichen Abstiegs zu schützen, krachend gegen die Wand fährt.

Das Bild des Mannes als Versorger, als Vorbild zu hinterfragen, sei natürlich ein Anliegen gewesen, bestätigt Hanno Koffler. „Die Befreiung für Rainer und seine Familie könnte darin liegen, dass er aufhört stärker und besser sein zu wollen, als er ist.“ Sich selbst die Legitimation zum Schwachsein zu geben, das wäre schon mal ein Anfang.

Jungs vom Bau. Rainer (Hanno Koffler) und seine Kollegen sollen schneller malochen.

© Kurhaus Production

Keine Erlösung: Der Befund der Berufswelt, wie die „Die Saat“ sie zeigt, ist für die Erwachsenen unerbittlich. Im Gegensatz zum persönlichen Umgang der nächsten Generation, die Doreen und Mara repräsentieren. Die Kinderebene sei kein Beiwerk, sondern Zuversicht, sagt Meyer.

Der gesellschaftliche Ton werde rauer, der zwischenmenschliche Umgang aggressiver. Angesichts dessen, stecke für sie die große Hoffnung darin, den Kindern ein besseres Verhalten weiterzugeben. In „Die Saat“, der Ende des Jahres oder Anfang 2022 ins Kino kommt, ist es Doreen, die die Größe hat, der Feindin eine helfende Hand zu reichen.

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