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Ort der inneren Einkehr: Emeka Ogbohs Installation „Ámà“ im Lichthof des Gropius Baus.

© Luca Girardini

Fürsorgliche Kunst: Einfach mal runterkommen im Ruheraum

„Care“ und Heilung gehören zu den neuen Modewörtern im Museumsbetrieb. Unsere Autorin unternimmt im Gropius Bau einen Selbstversuch – mit durchwachsenem Erfolg.

Impfnachweis, Luca-App, nasse Füße vom Regen und dann endlich ein warmes Dach über dem Kopf. Ich bin in den Gropiusbau gekommen, um zu erfahren, wie sich Fürsorge im Museum anfühlt. „Care“ – der Begriff hat derzeit Konjunktur im Ausstellungsbetrieb von Berlin bis Hongkong. Vier Tage „Fürsorge, Reparatur und Heilung“ hat Gropiusbau-Direktorin Stefanie Rosenthal angesetzt (bis zu 7. November). „Days on Caring, Repairing and Healing“ heißt es im Englischen. Das klingt angenehm, nicht nach Krankenstation und kaputter Kuckucksuhr, wie im Deutschen.

Im Grunde geht es darum, wie Institutionen dazu beitragen, dass Menschen sich gegenseitig unterstützen. Weniger Druck, weniger Maximierung, mehr Kooperation. Die gut geölte Maschine des globalen Ausstellungsbetriebs drosseln. Stottern tut sie im Moment sowieso. Covid, Klimakrise, unaufgearbeiteter Kolonialismus, es gibt genug Themen, die zeigen, dass es nicht in gewohnter Manier weitergehen darf.

In gewohnter Manier macht wahrscheinlich bald auch niemand mehr mit. Künstler:innen möchten nicht mehr in Häusern ausstellen, die ihre CO2-Bilanz nicht kennen oder ihre Verantwortung für gerechte Bezahlung nicht übernehmen, erzählt Stefanie Rosenthal später im Kinosaal.

Fürsorge im Museum ist ungewohnt. Ich nehme an, für die gebende Institution ebenso wie für die Besucherin. Ich wollte mir einen halben Tag dafür Zeit nehmen, kam aber zu spät, deshalb konnte ich weder im „Resonanzraum“ die Bibliothek zur Geschichte des Ausstellungshauses durchforsten noch im „Ruheraum“ entspannen. Ich stürzte in den Lichthof, in dem der Berliner Künstler Emeka Ogboh einen „Dorfplatz“, eine „Ámà“ wie es in Nigeria heißt, installiert hat.

Achtsamkeit im Neoliberalismus

In der Mitte steht eine neun Meter hohe Baumskulptur mit traditionellen Stoffen bespannt. Dazu Würfel zum Sitzen. Die Teilnehmerinnen, die tagsüber in einem Workshop mit der Künstlerin und Musikerin Ayumi Paul Atem- und Gesangstechniken geübt haben und im Lichthof gemeinsam Singen wollten, waren schon durch. Auf Emeka Ogbohs Installation saßen Besucher:innen und plauderten. Sie schienen wesentlich entspannter als ich.

Im Untergeschoss hat das Gespräch mit der Athener Kuratorin iLiana Fokianaki inzwischen längst begonnen. Grundlegende Frage werden thematisiert, und das Gesagte in Textform auf der Bühne eingeblendet. Auch das ist Fürsorge. Was bedeutet „Care“ im kulturellen Kontext und warum kommt der Begriff grade jetzt so stark auf? Neoliberale Erschöpfung und Rückgang der Fürsorge allerorten, sagt die Rednerin. Sie selbst hat ein „Bureau of Care“ in Athen gegründet.

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In den 70er Jahren haben Künstler:innen bereits gefordert, dass es in der Gesellschaft nicht nur um Geld und Konsum gehen soll. Die Ansätze von damals sind verpufft. Jetzt kommen die Themen zurück. In neoliberalen Zeiten wird „Care“ zum Instrument des Widerstands. Sich kümmern, „Familien“ gründen, wie in der Ballroom-Szene. Donna Haraway spricht mit ihrem Begriff „Kinship“ ebenfalls davon, bezieht nicht-humane Lebewesen mit ein.

Eine „fürsorgliche Kunstinstitution“ würde finanzielle Mittel umverteilen, ihren Einfluss für „Communities“ in der Nachbarschaft einsetzen. Räume öffnen. Essen anbieten. Emeka Ogboh, der in seiner Kunst auch Bier braut und damit experimentiert, wie sich Kultur in Speisen ausdrückt, hat ein experimentelles Menü kreiert, in dem mit hiesigen Zutaten nigerianisch gekocht. 80 Gäste sind am Samstag zum Probieren eingeladen. Starker Eindruck, dass trotzdem immer nur die Gleichen mit den Gleichen reden. Einige planen und durchdenken die Fürsorge für andere – die nicht da sind. Wer sind die „Communities“, mit denen das Museum in Kontakt treten will? Wieder ein Wort, das im Englischen gut klingt und das im Deutschen kein richtiges Pendant hat. Wir sollten trotzdem dranbleiben.

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