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Mouse on Mars Kunstbau.

© Simone Gaensheimer

Folge 173 „Wochniks Wochenende“: Zerrbilder des Berliner Kulturlebens

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit kommt in Berlin einigen wenigen Häusern und Akteuren zu. Die vielen aber, die den größten Teil der Kulturwelt ausmachen, sind zu klein für die großen Medien. Eine Schieflage, meint unser Autor.

Eine Kolumne von Thomas Wochnik

Eigentlich wäre mir der Monat der Zeitgenössischen Musik viel zu groß für diese kleine Kolumne, die sich auch inhaltlich vor allem solchen Veranstaltungen widmen will, die den großen Medien in der Regel zu klein sind. Er wäre also zu groß, wenn der MdzM nicht selbst den vielen Kleinen verschrieben wäre, die durch seine, einmal im Jahr stattfindende Programmklammer, groß erscheinen sollen.

Sie sehen nicht nur groß aus, weil diese Klammer Spielorte wie das Teilelager Fahrbereitschaft, KM28 und den Morphine-Raum im gleichen Satz mit der Philharmonie und dem Silent Green (Foto oben mit dem Duo Mouse on Mars) nennt. Sondern weil sie de facto den größten Teil der in Berlin produzierten und auch rezipierten Kultur ausmachen. Berlin ist längst auch die Hauptstadt der Freien Szene.

Zur Verdeutlichung: Einer Studie des DFDK zufolge verfügte die Stadt 2014 über 283 freie Theater. Zweihundertdreiundachtzig! Das ist das Zweieinhalbfache des zweitplatzierten Hamburg (115). Das drittplatzierte Stuttgart hatte gerade einmal 39 Standorte. München, Dresden, Frankfurt, Köln etc. noch weniger. Und das sind nur die Zahlen der Theater.

Soweit bekannt (es ist von einer großen Zahl gar nicht erfasster, temporärer Orte auszugehen), fallen die Verhältnisse freier Ensembles (Musik, Tanz und Theater), Bands, Galerien, Initiativen und vor allem loser Netzwerke von Einzelakteuren in der Tendenz ähnlich aus.

Im Rahmen von Festivals tauchen einige der Kleinen immer wieder mal in den Programmkalendern großer Häuser auf, vieles aber findet in „Off-Locations“ statt, von denen man kaum je liest oder hört, wenn man nicht selbst Teil von entsprechenden Netzwerken ist. Darunter Bars, öffentlicher Raum, Industrie-Leerstand, Zwischennutzungen, sogar temporär zu Veranstaltungsräumen zweckentfremdete Privatwohnungen.

Da aber nun der größte Teil aller Kulturproduktionen zu klein ist für unsere großen Medienhäuser, entsteht ein Zerrbild: Nach einem Blick in die Feuilletons der Stadt könnte man fast meinen, dass man sich im hiesigen kulturellen Leben auskenne, wenn man eine Handvoll Intendanzen aufzählen kann.

Erreicht der MdzM (hier das diesjährige Programm) sein Ziel, einen Einblick in die Freie Szene zu ermöglichen, entsteht der gegenteilige Eindruck: Niemand kann sich umfassend in dieser sich in die entlegensten Winkel und dunkelsten Nischen dieser Stadt verästelnden Kulturwelt wirklich auskennen. Je mehr man über sie weiß, desto mehr hat man den Eindruck, nichts über sie zu wissen.

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