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1970 würdigte Fotograf René Groebli den Schweizer Maler Aja Iskander mit einem mehrfach überarbeiteten Porträt.

© Chaussee 36

Ein Haus für Fotografie: Herr der Farben

In einem verwitterten Offiziershaus in Berlin-Mitte etabliert sich ein Showroom für Fotografie.

In der Fotoklasse von Hans Finsler realisierte René Groebli schnell, dass die frugale Perspektive der Neuen Sachlichkeit nicht seine ist. Auch wenn seine frühen Aufnahmen in der legendären MoMA- Schau „The Family of Man“ von Edward Steichen landeten, die dieser 1955 initiierte, blickte der Schweizer lieber gen New York. Und was dort aus der Factory von Andy Warhol kam, gefiel ihm ungleich besser. Groebli wechselte zum Dokumentarfilm, kam sich dort aber wie ein „Handlanger“ vor und ging zurück zum Foto. Mitte der fünfziger Jahre eröffnete er in Zürich ein Studio für Industrie- und Werbefotografie.

Das ist gerafft die Biografie des Mannes, dessen Werk in der Chausseestraße 36 hängt. Urbane Ansichten wie auch Porträts von knallfarbiger Intensität, die die ganze Pop-Verliebtheit der Sechziger noch einmal gegenwärtig machen. „Farbzauber“ heißt die Ausstellung, die nach langen Monaten der Unsichtbarkeit wiedereröffnet. An einem Ort voll Überraschungen, nicht bloß wegen Groebli, dessen Name jenseits der Schweiz am ehesten Fotoprofis etwas sagt. Eine Entdeckung also, ähnlich wie die Räume der „Chaussee 36“, auf die der Europäische Monat der Fotografie 2020 zuletzt ein Spotlight richtete. Dabei geht es hier das ganze Jahr ums Thema – dank des anonymen Hausbesitzers, der selbst Fotografie sammelt.

Berlins ruinöser Charme lebt hier noch

Seine Immobilie hebt sich wohltuend von der blankpolierten Gegend ab. Berlins ruinösen Charme zu bewahren, haben schon einige versucht. Im schlimmsten Fall endet es mit Fassaden, deren Kriegsnarben hinter Glas musealisiert werden, während das übrige Gebäude wie ein Neubau aussieht. Mit der Chausseestraße 36 verhält es sich anders . Das einstige preußische Offiziershaus, das nach dem Mauerfall an die Erben des Besitzers ging und von ihnen veräußert wurde, scheint in den 1990er-Jahren festgefroren. Das repräsentative Treppenhaus wurde gerade so renoviert, dass nichts bröckelt. In den Räumen und Sälen, die für diverse Veranstaltungen zu mieten sind, hängt teils noch die alte Tapete, teils blickt man auf Putz.

Im Innenhof dieser architektonischen Zeitmaschine warten mit „Galerie“ und „Studio“ zwei exquisite Adressen für Ausstellungen. Die erste, ein klassischer White Cube, dient aktuell der Ausstellung von Groebli, über den man noch mehr lernt. Seine kolorierten Porträts mögen, was ihre Flächigkeit und poppigen Kontraste anbelangt, denen von Warhol ähneln. Allerdings gewann Groebli, Jahrgang 1927, seinen vom renommierten amerikanischen Magazin Popular Photography vergebenen Titel „Master of Color“ , bereits 1957 nach einer Fotoserie über ein Pharmaunternehmen, begann seine künstlerische Karriere also ähnlich früh wie der amerikanische Superstar. In der Schweiz ist er deshalb schon lange eine Berühmtheit. Die Konzentration auf sein farbstarkes Werk mit Bildern wie „Der rote Mann“, der mehrfach überblendeten Serie „Babylon, Babylon“ über New York oder „Montage des Opel Record bei General Motors“, für das er sechs Blitzlampen mit Farbfolien verwendete, beweist Groeblis bis heute vorbildhaften Umgang mit den experimentellen Möglichkeiten der Fotografie.

Im Keller geht es um erotische Fotografie

Der zweite Teil der Schau mit dem Titel „Eros & Photography, Part I: Behind Desire“ speist sich aus der privaten Sammlung und ist vor allem im „Studio“ zu sehen, das sich als verschlungenes Gewölbe mit Bar und Nischen erweist. Es geht um erotische Aufnahmen ohne die typische Demonstration primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale. Im Fokus steht vielmehr das Begehren – und mit ihm formieren sich Bilder, die solche Fantasien beflügeln.

Davon erzählen Kapitel wie „Dreams“ oder „Intimacy“, unter denen Fotografien von Heinz Hajek-Halke, Ellen von Unwerth, Herb Ritts, Lucien Clergue, Mona Kuhn, Will McBride oder Nobuyoshi Araki versammelt sind. Letzterer zeigt, dass zu dieser Intimität auch Fesselspiele oder S/M-Praktiken zählen können, weil auch sie, sagt Kuratorin Mathilde Leroy, von „Hingabe und Vertrauen“ abhängen.

Knapp 70 teils herausragende Fotografien lohnen auch diesen Rundgang. Nur manchmal übertreibt Leroy, wenn sie Arakis schwarz-weißes Großformat in eines der Separées hängt, über die die Katakomben der Chausseestraße 36 verfügen. Oder wenn sie wie in der Peep-Show Gucklöcher anbietet, um den Eindruck von Authentizität zu befeuern. Das ist in etwa so, als würde ein Sternekoch sein mit Sepia eingefärbtes Gericht auf schwarzen Tellern servieren. Verstärkt wird hier nichts, die Wirkung höchstens aufgehoben.

Chaussee 36, Chausseestr. 36; bis 27. März, Do–So 13–18 Uhr (Eintritt: 7/5Euro)

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