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„Trapped in the Dream of the Other“ von Revital Cohen und Tuur Van

© Revial Cohen und Tuur Van Balen

„Image Ecology“ bei C/O Berlin: Kritische Fragen an die Fotografie

Eine Gruppenausstellung im Berliner Fotohaus geht mit dem eigenen Medium ins Gericht: Was hat die Fotografie mit Kapitalismus, Krieg, Krise zu tun?

Fotografie ist kraftlos“, schreibt die Ukrainerin Yevgenia Belorusets im Katalog. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen ihr Land sei ihr das Scheitern des Mediums besonders deutlich geworden: „Die Bilder gehen um die Welt, die ganze Welt entzieht sich der Verantwortung.

„Der Krieg geht weiter“, beklagt die Autorin in ihrem Text zur Fotoserie „Electricity / Afterimages“ von Tobias Zielony, die im Rahmen der Gruppenschau „Image Ecology“ im Amerika-Haus zu sehen ist. Es geht um die ökologische Krise, das brennende Thema unserer Zeit – und wie Fotografie darin verwickelt ist.

Richard Frater, Concrescence Plot, Installation auf der Dachterrasse bei C/O Berlin.

© C/O Berlin Foundation, David von Becker

Mit der Umweltthematik verknüpft sind der Krieg und die daraus resultierende Energiekrise. Zielony zeigt junge Menschen aus der moldawischen Hauptstadt Chișinău, die sich in einem spärlich beleuchteten Umfeld bewegen. Seit dem Krieg fällt im Nachbarland der Ukraine ständig der Strom aus. Nachts werden die Straßenlaternen ausgeschaltet. Unter die Low-Key-Bilder wirft ein Beamer Sätze, die zwischen Schwermut und Hoffnung wechseln: „Stell dir vor, du bist auf einem Rave. Du tanzt und hast die Augen geschlossen. Die Musik dröhnt. Du wünschst dir, sie würde nie aufhören.“

Tausende Bilder vom Krieg

Ist Fotografie denn wirklich kraftlos? Zielonys um halbfiktive Dialogfetzen ergänztes Nachtstück beweist das Gegenteil. Überhaupt sind es zwölf überaus starke Positionen, aus denen sich die Schau zusammensetzt. Sie widmet sich der künstlerischen Fotografie – und man muss darauf hinweisen, dass Belorusets in ihrem Katalogbeitrag dezidiert die Wirkmacht des Fotojournalismus anzweifelt.

Bei C/O Berlin hängen nicht einfach nur Abbilder ökologischer Katastrophen an der Wand. Zu sehen sind die unterschiedlichsten Strategien, Video und Installation eingeschlossen, aus der fotografischen Monoperspektive herauszukommen – und darüber hinaus noch die Voraussetzungen und Folgen des Fotografierens mitzureflektieren. So spürt man in Zielonys Bildessay durchweg die Abhängigkeit des Mediums vom (elektrischen) Licht.

Fotografie frisst Energie und produziert Abfall

„Üblicherweise halten wir ein Foto für ein Fenster zur Welt“, sagt der Gastkurator Boaz Levin. „Und wir blenden die materiellen Bedingungen der Fotografie aus. Wir vergessen die Substanzen, die Wirtschaftskreisläufe, die Arbeitskraft – alles das, was Bildproduktion erst ermöglicht.“

Levin, 1989 in Jerusalem geboren, beschäftigt sich seit Längerem mit Zusammenhängen von Ökologie, Technologie und visueller Kultur. Bei „Image Ecology“ handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Ausstellung „Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion“, die Levin in den Jahren 2022 und 2023 in Museen in Hamburg und Wien realisierte.

Gemeinsam mit Kuratorin Kathrin Schönegg, die C/O Berlin inzwischen verlassen hat und nun die Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums leitet, hat der Autor und Filmemacher im ersten Stock des Amerika-Hauses einen Rundgang mit thematischen Überschneidungen realisiert. Die Kapitel heißen: „Energie“, „Material“, „Arbeit“ und „Abfall“ – bis sich der Kreis mit „Energie“ wieder schließt. Levin: „Wir haben uns den Stoffwechselkreislauf als Modell genommen“.

Kolonialgeschichte am Beispiel des Indigo

Die meisten Werke behandeln mehrere (oder alle) der genannten Aspekte, wie zum Beispiel die Installation „Seeds Shall Set Us Free II“ des aus Bangladesch stammenden Munem Wasif. Der Künstler ruft die Kolonialgeschichte seines Heimatlandes auf, das unter britischer Vorherrschaft zu den weltweit größten Exporteuren des pflanzlich gewonnenen Farbstoffs Indigo zählte.

Über Regalflächen verteilt Wasif Zeichnungen von landwirtschaftlichen Werkzeugen, Archivbilder und tiefblaue Fotogramme von Reiskörnern, die an rituelle bengalische Bodenzeichungen erinnern. Wasif arbeitet hier mit dem historischen Cyanotypie-Verfahren (Eisenblaudruck), um auf koloniale Eingriffe in die lokale Agrikultur hinzuweisen: Der monokulturelle Anbau sogenannter „cash crops“ wie Indigo und Jute führten 1943 zu einer verheerenden Hungersnot in Bengalen.

Die Verwendung alter, heute ungebräuchlicher Verfahren ist ein besonderes Merkmal der Ausstellung. Der US-Künstler Tristan Duke hat eine quasi-historische Technik erfunden: Er fotografiert mit Linsen aus klarem Gletschereis, seine unscharfen Bilder eines Segelschiffes vor Spitzbergen erinnern wiederum an Lochkamera-Aufnahmen.

Alte Fototechniken, neu gedacht

Der Schweizer Julian Charrière arbeitete für das Bildwerk „Buried Sunshines Burn“ mit der Technik der Heliografie. Zu sehen ist ein Ölfeld außerhalb der Filmstadt Los Angeles, wobei die goldglänzende Bildoberfläche aus einer lichtempfindlichen Bitumen-Emulsion besteht – ein Rohöl, das Charrière aus Teergruben bei Los Angeles sammelte. Die La Brea Tar Pits dienen heute als paläontologische Forschungsstätte, an der urzeitliche Tiere gefunden werden. „Indem sie verschiedene Ebenen der Vergangenheit von L.A. freilegt“, schreibt Siobhan Angus zu Charrières Arbeit, „verknüpft seine vielschichtige Darstellung Fossilien, Film, Gegenkultur und Ölförderung“.

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© Tristan Duke

Nicht nur an dieser Stelle widerspricht die Ausstellung dem Kurzschluss einer vermeintlich immateriellen Fotografie. Auch und gerade im Digitalzeitalter ist das Medium tief in kapitalistische Ausbeutungslogiken verstrickt. Das Londoner Duo Revital Cohen & Tuur van Balen präsentiert ein wundersames Mineral – scheinbar frisch aus dem Stein gehauen – inmitten einer Ansammlung ausrangierter Festplatten. Bei dem Stein der Installation „D/AlCuNdAu“ handelt es sich allerdings um einen eigens gefertigten Hybrid aus Aluminium, Kupfer, Neodym und Gold, aus Rohstoffen, die zur Herstellung von Festplatten genutzt werden. Der Elektronikschrott wird zur Mine: eine kühne Umkehrung dessen, was in der Bergbau- und Computerindustrie tatsächlich passiert.

Fotografie als Handlangerin des Kapitalismus

Die Berliner Künstlerin Susanne Kriemann beschäftigt sich mit einem Hybrid aus Pflanze und Plastik, „Mngrv“ genannt. Kriemanns Inkjet-Prints der Ausstellung sind mithilfe von Rohöl und Nylon hergestellt, die in den südostasiatischen Mangroven, die im Mittelpunkt der Arbeit stehen, gefunden wurden. „Mngrv“ existiert wirklich und ist geradezu eine Verkörperung der Prämisse für „Image Ecology“, dass es sich beim Dualismus von Natur und Kultur um eine Täuschung handelt.

Im dringend zu lesenden Katalogtext des US-Geosoziologen Jason W. Moore wird die Figur des „prometheischen Blicks“ eingeführt. Moore beschreibt, wie „Natur“ in der Neuzeit „zu einem von der Zivilisation getrennten, widerspenstigen, wilden, unzivilisierten Bereich der Wirklichkeit“ erklärt wurde, um eine „imperiale unternehmerische Philosophie“ zu etablieren. Maßgebliche Antriebskräfte der Profitmaximierung sind laut Moore die „visuellen Techniken“ – von der Karte und der Vermessung bis hin zur „Komplizenschaft der Fotografie mit der ‚universellen Sprache‘ des Kapitalismus und seiner ‚rationalen Beherrschung der Welt‘“.

Das Medium hat seine Unschuld verloren

Beherrschen wir die Welt? Die Klimakrise und das Artensterben führen uns eher den allgemeinen Kontrollverlust vor Augen. Die Fotografie – gemeint ist die „kraftlose“, wenig reflektierte, scheinbar objektive Praxis – hat ihren Anteil an der Verschleierung der Machtlosigkeit. Das Medium taugt hervorragend für den „Gottestrick“: So nennt die feministische Kulturtheoretikerin Donna Haraway den fingierten Standpunkt des Wisssenschaftlers, der so tut, als könne er sich außerhalb seines Forschungsobjekts positionieren.

„Wir täuschen uns“, sagt Boaz Levin, „wenn wir das fotografische Bild als ort- und schwerelose Erscheinung ansehen, aus immateriellen Daten oder Licht gemacht. Fotografie ist ein im Austausch mit der Welt entstandenes Produkt aus Energie, Arbeit und Materie“. Das Medium hat seine Unschuld verloren. Daraus ergibt sich für Künstler:innen die Frage, wie eine nachhaltige Fotopraxis aussehen könnte. Auch darauf sind in der „Image Ecology“-Schau spannende Antworten zu finden.

Die Französin Léa Habourdin verknüpft die Fragilität des Ökosystems Wald mit der Flüchtigkeit fotografischer Bilder, indem sie Waldfotos nicht mit Fotochemie, sondern mit Pflanzensäften aufs Papier bringt (das Verfahren heißt Anthotypie). Habourdin verbirgt die höchst lichtempfindlichen Aufnahmen hinter Schutzklappen. Wer ihre Bildschränkchen öffnet, tut das im Bewusstsein, dass das Foto Blick um Blick weiter verblassen wird, bis nurmehr ein weißer Bildträger übrig bleibt. Die Entscheidung liegt bei uns.

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