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Seeleninterpret. Bariton Jóhann Kristinsson beherrscht die leisen Töne.

© Martin Walz

Jóhann Kristinsson im Boulez Saal: Hast ein Reh du lieb

Im Bann der Natur: Jóhann Kristinsson singt Schumann im Boulez Saal. Eine nuancenreiche und einfühlsame Darbietung.

„Zart, heimlich“ soll der Interpret sich vorschriftsgemäß dem poetischen Zentrum des Eichendorff-Liederkreises von Robert Schumann nähern: der „Mondnacht“. Es ist eine der Kompositionen, wie sie das Bild der deutschen musikalischen Romantik wesentlich bestimmen. Als „Höhepunkt aller Liedliteratur“ bezeichnet Dietrich Fischer-Dieskau diese Vertonung in seinem Buch über das Vokalwerk Schumanns.

Im Pierre Boulez Saal erwartet das Publikum eine doppelte Überraschung. Anstelle des angekündigten Gyula Orendt aus dem Staatsopern-Ensemble, der wegen Erkrankung absagen musste, übernimmt Jóhann Kristinsson den Liederabend – sogar mit einem Teil des ursprünglich geplanten Programms, dem Liederkreis nach Gedichten von Joseph von Eichendorff. Damit bezaubert ein junger Bariton aus Island, dessen Studien, aufgenommen in Reykjavik an der dortigen Akademie, nach Berlin an die Hanns-Eisler-Hochschule führten und weitere Unterweisung bei Gesangsstars wie Julia Varady, Thomas Quasthoff und Thomas Hampson umfassten. Derzeit ist er Mitglied des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper.

Das Introvertierte der Musik

Kristinsson, begabt mit einem vollklingenden, in der Höhe attraktiven, lichten Bariton, schlägt das Publikum in Bann, indem er die leisen Töne des Zyklus umhegt. „Mein Romantischstes“ hat der Komponist den zwölfteiligen Liederkreis genannt. In der „Mondnacht“ sind es die Dichterworte von der sternklaren Nacht und den stillen Landen, die sich einprägen und die Seele der Interpretation „nach Haus“ tragen. Unterstützt wird die inspirierte Wiedergabe durch den instrumentalen Part des Pianisten Ammiel Bushakevitz, in dem das sachte Rauschen der Luft und der Natur – der Ähren, der Wälder – schwingt.

In den feinen Nachspielen liegt die Kunst dieses Musikers aus Israel, der noch die späten Meisterkurse Fischer-Dieskaus in Erinnerung trägt. Das mit vielen Ritardandi durchzogene Lied „Im Walde“ zeugt von der Gemeinschaft der beiden Künstler. Und die „Schöne Waldeinsamkeit“, „Hexe Loreley“ oder „Hast ein Reh du lieb vor andern“ reflektieren die Einfühlung des Sängers in die Lyrik Eichendorffs, auch wo sie ganz modern vor Gefahren warnt. „Und ist doch lange tot“ sind wiederholte Echos auf eine Vision der Geliebten, für die Kristinsson mehrere Ausdrucksnuancen hat.

Nach der Pause singt er Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und dann Hugo Wolf, um entspanntere Töne anzuschlagen: „Manche Schöne macht wohl Augen“. Obwohl die Konzentration und Tongebung des ersten Teils nicht mehr ganz erreicht werden, reagiert das Publikum wie zuvor mit gespannter Stille und herzlichem Beifall. Denn der Opernsänger Jóhann Kristinsson versteht sich im Lied, zumal bei Robert Schumann, erstaunlich auf das Introvertierte der Musik.

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