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Oksana Lyniv dirigiert das Youth Symphony Orchestra of Ukraine beim Festival Young Euro Classic.

© MUTESOUVENIR/Kai Bienert

Oksana Lyniv und das Youth Symphony Orchestra of the Ukraine: Ode an Odessa

Evgeni Olkins „Odessa Rhapsody“ gewann bei Young Euro Classic in Berlin den Europäischen Komponistenpreis. Hier unsere Kritik des Festivalkonzerts mit dem ukrainischen Jugendorchester und Oksana Lyniv.

Von Eleonore Büning

Musik ist – nolens, volens – politisch. Ob sie will, oder nicht. So hatte es der deutsche Komponist Hans Werner Henze auf den Punkt gebracht, um dem ästhetischen l’art-pour-l’art-Gesäusel seiner Avantgarde-Kollegen Paroli zu bieten. Damals herrschte kalter Friede in Europa. Der ukrainische Komponist Evgeni Orkin, der zurzeit in Mannheim an der Hochschule lehrt, hat, was das betrifft, heutzutage keine Wahl. Die meisten Stücke, die er in jüngster Zeit schrieb, befassen sich, wohl oder übel, mit der Tagespolitik.

Sein neuestes Werk, voriges Jahr uraufgeführt in Paris, heißt „Odessa Rhapsody“: eine symphonische Dichtung in vier Sätzen, die Orkin der Dirigentin Oksana Lyniv gewidmet hat, die, wie er selbst, aus Lwiw stammt.

Lyniv brachte es jetzt mit dem Youth Symphony Orchestra of Ukraine zur deutschen Erstaufführung im Konzerthaus, im Rahmen von Young Euro Classic. Blau wie das Meer tönt dieses Stadtporträt, sonnengelb leuchten die Blechbläser. Kein „garstig’ Lied“ also, vielmehr: ein optimistisches Tongemälde, als Hommage an das städtische Leben, in patriotischen Farben. Hörner und Trompeten strahlen, die Streicher glänzen: Das von Lyniv einst persönlich gegründete Jugendorchester beweist einmal mehr professionelle Topform. 

Impressionistisch schillernder Traum

Hohe Holzbläser ahmen Mövenschreie nach, die Tiefen atmen geräuschvoll ein und aus, sie imitieren das Rauschen der Brandung. Unten am Kai tuten die Schiffshörner, oben auf dem prächtigen Primorsky-Boulevard wird gefeiert. Anführer der Party sind zwei brillante Soloviolinen (Andrii Murza, Aleksey Semenenko), sie intonieren zwei entschieden unterschiedliche Volksmusikfetzen – mollige Klezmer-Tränen, spitzig synkopierte Tanz-Rhythmen – , die thematisch bleiben, bis die Polizei kommt.

Der zweite Satz führt in die Hallen des Privoz-Marktes, wo Verkäufer ihre Fische anbieten und aufmüpfige Parolen schreien („Ihr Zugereisten!“ oder „Raus mit dir! Folge dem russischen Schiff“). Danach versinkt Odessa in einen impressionistisch schillernden Traum, pianissimo von Paukenschlägen bedroht. Was sich, wie die ergriffen-begeisterte Reaktion des Publikums im voll besetzten Saal des Berliner Konzerthauses zeigt, unmittelbar mitteilte. 

Lyniv ist aus Bayreuth angereist

Zum dritten Mal ist das Youth Symphony Orchestra of Ukraine nun schon zu Gast bei „Young Euro Classic“. Die Motivation dieser von Lyniv exklusiv zusammengerufenen Nachwuchsmusiker, von Anfang an außergewöhnlich hoch, ist womöglich seit 2018 noch gewachsen. Lyniv selbst reiste an aus Bayreuth, wo sie, gerade drei Tage ist es her, den „Fliegenden Holländer“ dirigiert hatte. Sie war, dieser Ruf eilt ihr voraus, bei der Premiere damals die erste Frau gewesen, die den mythischen Abgrund des verdeckten Bayreuther Orchestergrabens bezwang.

Man kann also getrost sagen: Diese furchtlose Dirigentin verfügt über eine klarere Schlagtechnik und ein fundierteres kapellmeisterliches Knowhow als so manch ein Kollege. Was sie nun auch im Hauptstück des Konzerts bewies, nach der Pause, mit einer fast militärisch exakten Aktion: So rhythmisch tadellos im Detail, dabei moderat in den Tempi und struktur – wie klangbewusst auf Effekt gebürstet, ist Ludwig van Beethovens Symphonie Nr.5 c-moll op.67 in diesem Saal wohl selten zu hören gewesen. Alles passte, perfekt. 

Vor der Odessa-Rhapsody war noch, zum Warmspielen, das arkadische Flötenkonzert op.45 von Malcolm Arnold dargeboten worden, mit Soloflötistin Daryna Bachynska. Außerdem „The Way“ der ukrainischen Komponistin Bohdana Frolyak: eine Sequenz, die aus dunklem Dröhnen in einen schlichten Durakkord führt.

Nach der Fünften von Beethoven aber gab es, als Zugabe, abermals nichts als Beethoven: Lyniv stürzte sich und ihr Orchester ein zweites Mail in den letzten Satz der Fünften, mitten hinein, kurz vor dem krachenden, siegesjubelnden Finale. Allein diesen Einsatz, den macht ihr so leicht keiner nach.

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