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In der Nähe vom Ponte Vecchio befindet sich das Stammhaus des Orchestra della Toscana, das Teatro Verdi

© Fotolia/PAOLO GALLO MODENA

Kolumne „Der Klassiker“ (Folge 48): Wir sind Exportweltmeister

Notizen einer Italienreise (I): In Florenz spielt das Orchestra della Toscana – und zwar vor allem deutsche Musik. Zur Saisoneröffnung steht ein Wahlberliner auf dem Dirigentenpult.

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

In Florenz gibt es von allem sehr viel: Kunstschätze der Renaissance natürlich in erster Linie, aber auch Lederwarengeschäfte, Touristen-Nippes-Shops – und Opernhäuser. Drei an der Zahl, genau wie in Berlin. Für Musiktheater genutzt wird allerdings nur die neue Bühne des berühmten „Maggio Musicale Fiorentino“-Festivals. Im Teatro alla Pergola, dessen Tradition bis 1656 zurückreicht, sieht man heute nur noch Schauspiel, im Teatro Verdi, 1854 eingeweiht, gastieren Tourneeproduktionen. Und außerdem hat das Orchestra della Toscana hier seinen Sitz.

Mahler, Mozart und Co.

Reine Konzertorchester gibt es nur wenige im Geburtsland der Oper. Und die bedienen sich für ihre Programmplanung gerne aus dem deutschen Repertoire. Von den 34 Werken, die in der aktuellen Spielzeit im Teatro Verdi erklingen, stammen 24 von compositori tedeschi, also von Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Weber, Strauss, Brahms und Mahler. Wenn es um sinfonische Musik geht, sind und bleibt la Germania eben Exportweltmeister.

Besondere Authentizität wünschte sich das Orchestra della Toscana für seinen Saisoneröffnungsabend – und lud sich darum für Gustav Mahlers 4. Sinfonie gleich noch einen deutschen Dirigenten ein: Markus Stenz. Der hat, nach Karrierestationen in Köln, Hilversum, Melbourne und London, zum Sommersemester 2023 eine Professur an der Berliner Hanns Eisler-Musikhochschule angetreten.

In der Hauptstadt hatte ich ihn lange nicht gehört, jetzt wollte es der Zufall, dass ich ihm auf meiner Italienreise begegnete, als Zuhörer im bestens besuchten Teatro Verdi. Mit vollem Körpereinsatz stürzt sich Markus Stenz in die Vierte. Er muss ganz schön ackern, um vom Orchester das Klangprofil zu bekommen, das ihm vorschwebt.

Man spürt, dass die „professori d’orchestra“, wie man in Italien zu den Musikerinnen und Musiker sagt, vieles gerne schöner, seidiger, ausgewogener spielen würden – doch Mahlers Partituren zeichnen sich nun einmal dadurch aus, dass hier immer wieder auch die Misstöne der realen Welt eindringen, ebenso Derb-Volkstümliches und Naturlaute.

Der Saal lauscht aufmerksam, am Ende prasselt der Applaus. Der Abend bringt die angenehme Erfahrung, dass die Liebe zur Musik des Nachbarlandes offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruht. Die Italiener lassen sich von ernster deutscher Sinfonik begeistern, während nördlich der Alpen das Publikum massenhaft in Opern von Verdi und Puccini strömt. Auch so funktioniert Kulturaustausch.

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