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Blick in das von Heinrich Tessenow gestaltete Stadtbad Mitte.

© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Kontroverse Architekturikone : Publikation blickt auf Heinrich Tessenows Schaffen

Anhänger der Einfachheit: Tessenow baute die Neue Wache Unter den Linden zum Ehrenmal um und gestaltete das Stadtbad Mitte. Er war aber auch unterm NS-Regime tätig.

Von Bernhard Schulz

An Heinrich Tessenow scheiden sich die Geister. Unter Architekten genießt er Verehrung als einer der Großen des 20. Jahrhunderts. Nicht-Architekten hingegen verweisen auf seine Tätigkeit unter dem NS-Regime.

„Die Nazis wollten sich Tessenow aneignen“, hat Julius Posener geschrieben, der Architekturhistoriker und als früherer Emigrant jeder Beschönigung unverdächtig. Tessenow habe sich mit einigen Entwürfen, unter anderem einem für das Seebad Prora auf Rügen, dem Regime angenähert, was aber nur möglich gewesen sei, weil „Tessenows Problem nicht so sehr der Nationalsozialismus war als der unaufhaltsame Fortschritt des technischen Zeitalters (…).“

Damit steht Tessenow (1876 – 1950) in der Reihe derer, die der „anderen Moderne“ zugerechnet werden – jenseits des Funktionalismus, der vom Bauhaus zum International Style führt. Und zugleich hat er nichts zu tun mit Heimattümelei oder gar dem Nazi-Klassizismus, den Albert Speer, sein zeitweiliger Lehrstuhl-Assistent an der Technischen Hochschule Charlottenburg, so brachial verbreitete.

Publikation gibt Anlass zu neuen Wertungen

Nachdem das Interesse an Tessenows Werk, vor dreißig Jahren mit der Bewunderung italienischer Architekten des Rationalismus kurz aufgeflammt, wieder schwand, ist es jetzt eine umfangreiche Buchpublikation, die zu neuerlichen Kontroversen und neuen Wertungen Anlass gibt. Sie kommt bezeichnenderweise nicht aus Berlin, wo der gebürtige Rostocker Tessenow ab 1926 Hochschullehrer war, sondern von der Universität im südschweizerischen Mendrisio.

Tessenow wurde berühmt mit der Gartenstadt Hellerau bei Dresden ab 1910 und dem dort errichteten Festspielhaus, dem gebauten Manifest der Reformbewegung vor dem Ersten Weltkrieg. Während hier die neue Bühnenkunst, vor allem der Tanz, zur Aufführung kam, folgt die Gartenstadt der Siedlungsbewegung, die aus der Enge der Mietskasernen hinaus in ein Leben im kleinräumlichen Maßstab strebte.

Damit steht Tessenow nicht allein, aber ihm gelang es, die Hauszeilen in Hellerau nicht als Idyll vorzuführen, sondern in jener Nüchternheit, die ihm als gelernten Tischler eigen war. Posener, im Pariser Exil lebend, nannte ihn noch 1936 bewundernd „Dichter, Prophet, Pädagoge und Schreiner zugleich“.

Kontroverse ums Stadtbad Mitte

In Berlin gibt es von ihm, dessen gebautes Œuvre nach dem Ersten Weltkrieg schmal blieb, zwei Hauptwerke: die Umgestaltung der Neuen Wache Unter den Linden zum Ehrenmal und das Stadtbad Mitte in der Gartenstraße, beide gegen 1930 fertiggestellt. Die Neue Wache ist naturgemäß ein singuläres Projekt, das Stadtbad hingegen ein großartiges Beispiel für die Sozialbauten, wie sie die Weimarer Republik hervorbrachte.

Zu großen Teilen finanziert wurde das Stadtbad übrigens von James Simon, dem größten Mäzen seiner Zeit, der über sein Engagement für die Museen hinaus soziale Projekte förderte, ohne davon Aufhebens zu machen.

Um das Stadtbad gibt es eine merkwürdige Kontroverse. Als Architekt wird offiziell der Magistrats-Baumeister Carlo Jelkmann geführt, während Tessenow laut Vertrag ür die „Gestaltung des Inneren“ zuständig war. Tatsache ist, dass die Badeanstalt, die von der Gartenstraße hinter der 73 Meter langen Klinkerfassade kaum zu ahnen ist, und vor allem die tagslichthelle Schwimmhalle von einer Feinheit der Durchführung sind, wie sie nur Tessenow eigen ist.

„Das Beste ist immer einfach“

Zudem entstand zu gleicher Zeit in Kassel eine weitläufige Oberschule, die mit glatter Putzfassade und quadratischen Fenstern den Vergleich zu den Wänden und der verglasten Decke des Stadtbades herausfordert. Unverwirklicht blieb der Umbau des Kronprinzenpalais für die Neue Abteilung der Nationalgalerie. Es sagt viel, dass gerade Tessenow, dessen Gestaltung der „Internationalen Kunstausstellung“ in Dresden 1926 allen Museumsleuten im Gedächtnis haftete, mit dieser Aufgabe betraut wurde.

Im Geist der Reformbewegung hat Tessenow 1916 – er war damals vor allem Architekt von Einfamilienhäusern – geschrieben: „Das Einfache ist nicht immer das Beste; aber das Beste ist immer einfach.“ Es ist diese Vereinfachung, die sein Œuvre kennzeichnet, die Vereinfachung bestimmter Formen, zu denen beim freistehenden Haus das geneigte Dach gehörte, wie in Zehlendorf – im großen Unterschied zur Form-Abstraktion der radikal Modernen.

Tessenow, nach Kriegsende 1945 auf seinen Lehrstuhl an der TU Berlin zurückgekehrt, starb 1950 zu früh, um im Wiederaufbau Spuren zu hinterlassen. Ob man ihn zur „Interbau '57“ eingeladen hätte? Dort war Le Corbusier der große Star – und gerade er hatte sich als junger Berufsanfänger 1911 um Mitarbeit am Hellerauer Festspielhaus bemüht. „Seine Bauten“, heißt es über Tessenow im neuen Buch, „sind auf den ersten Blick eher unscheinbar und geradezu irritierend einfach“. Aber es ist eine Einfachheit, die auf Dauer Bestand hat.

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