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Bäume fällen oder Kunst verrücken? 1987 installierte der französische Bildhauer Bernar Venet vor der Urania seine Skulptur „Arc de 124,5°“.

© Mike Wolff

Kunst im öffentlichen Raum: Auf dem Holzweg

Kunst oder Baum - das ist vor der Urania die Frage. Aber darf man in diesen Zeiten auch nur eine einzige Platane fällen?

Wer die Debatte um die Fällung von Bäumen auf dem Mittelstreifen an der Urania verfolgt, könnte denken, er sitze im falschen Film. Seit 1987 steht dort die Skulptur „Arc de 124,5°“ des französischen Bildhauers Bernar Venet, Frankreich hat sie Berlin zur 750-Jahr-Feier geschenkt. Venet ist spezialisiert auf Kunst im öffentlichen Raum, sein Werk greift die geschwungene Form der Straße auf, ragt fortschrittsfroh in die Zukunft. Dumm nur, dass auch Dutzende von Platanen gepflanzt wurden, die inzwischen ebenfalls in die Höhe ragen. Mittlerweile fällt die Skulptur nur noch ins Auge, wenn man ganz genau hinschaut. Venet hat sich deshalb an die Senatskanzlei gewandt, fordert die Fällung der Platanen, bietet Ausgleichspflanzungen an – und will so lange nicht wieder nach Berlin kommen, wie die Bäume stehen. Die BVV unterstützt ihn auf Initiative der SPD dabei.

Geht’s noch, Monsieur Venet und liebe SPD? Kann im Jahr 2019, im zweiten Hitzesommer in Folge, tatsächlich noch jemand auf die Idee kommen, Hand an auch nur einen einzigen Baum zu legen, während ein in seiner Ignoranz furchterregender Präsident mit seiner Rhetorik den Amazonas in Brand steckt und dem Planeten langsam die Luft wegbleibt? Zwar hat die grüne Stadträtin das Vorhaben vorerst gestoppt, und man könnte einwenden, dass sieben Platanen und eine Linde das Weltklima auch nicht retten. Aber damit macht man es sich zu einfach.

Das Problem ist die Haltung dahinter. Offensichtlich haben immer noch viele nicht begriffen, dass Bäume, vor allem Laubbäume, in Zeiten des Klimawandels keine stumme Verfügungsmasse mehr sind. Bäume entziehen der Atmosphäre CO2, halten ihre Umgebung feucht, kühlen die Stadt durch Schattenwurf und vor allem durch Verdunstung. Muss man das 2019 wirklich noch jemandem erklären? Pflanzen müssen wir, nicht fällen! Worauf soll unsere Hoffnung ruhen, wenn nicht auf Bäumen, Bäumen und noch mehr Bäumen?

Die Zeiten, in denen man sich billig mit „Ausgleichspflanzungen“ aus der Affäre ziehen konnte, sind vorbei. Setzlinge müssen stärker gegossen werden als reifes Gehölz, und Regen fällt bekanntlich nicht mehr selbstverständlich vom Himmel. Außerdem wachsen gerade Laubbäume langsam, brauchen 50 Jahre und mehr, um die Größe zu erreichen, die die Platanen an der Urania jetzt schon haben. Jahre, die uns nicht mehr zur Verfügung stehen. Das Zeitkonto ist aufgebraucht.

Ein interessanter Fall: Natur gerät mal nicht mit Wirtschaftsinteressen, sondern mit der Kunst aneinander. Aber die wird den Kürzeren ziehen müssen. Ja, es gibt Werke, die einzig für den Ort geschaffen wurden, an dem sie stehen. Man denke nur an die Altäre von Tilman Riemenschneider, und wo anders als in der Sixtina wären die Fresken von Michelangelo denkbar? Für Venets Skulptur gilt das nicht unbedingt. Der Konflikt ließe sich leicht entschärfen, indem man sie woanders aufstellt, wo sie besser zur Geltung kommt. Auf dem Tempelhofer Feld etwa, das hat Gestaltung dringend nötig. Dass man darüber nicht mal nachdenkt und stattdessen gleich die Motorsäge fordert, ist verstörend. Heute könnte Bertolt Brecht („Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“) Vegetation nicht länger als Passepartout für ein belangloses Smalltalkthema benutzen. Es ist Zeit, über Bäume zu reden.

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