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Das Haus

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Roman: Hyper, hyper

Intellektuell verspielt, beklemmend spannend: Mark Z. Danielewskis Debütroman "Das Haus".

Beschäftigt man sich eine Weile mit Mark Z. Danielewskis außergewöhnlichem Debütroman, der im Original im Jahr 2000 veröffentlicht wurde und nun unter dem Doppeltitel „Das Haus. House of Leaves“ auf Deutsch erscheint, merkt man einmal mehr, was für merkwürdige Objekte Bücher doch sind. Sie können in sich unendliche Räume beherbergen, reale und erfundene Städte und Länder, geräumige Schlösser oder beengte Gefängniszellen. In ihrem imaginativen Raum sind die physikalischen Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt, und doch findet sich all dies zwischen zwei Buchdeckeln, auf einer begrenzten Zahl bedruckten Papiers. Ein Buch ist ein handliches Ding von so unübertreffbarer physischer Praktikabilität, dass mehrere tausend Jahre Medienrevolution kein konkurrenzfähiges Alternativprodukt entwickeln konnten.

Trotzdem ist der Tod des Buches oft ausgerufen worden, erst recht seit der Digitalisierung der Medienwelt. Die Verkünder der digitalen Medienrevolution sehen vor allem den linearen Text, den man ohne interaktive Verknüpfungsmöglichkeiten immer nur vom einen zum anderen Ende lesen kann, in der Sackgasse. Ihre Alternative: der vor allem im Internet genutzte Hypertext, der multimedial, verlinkt und interaktiv ist. Der vielleicht erste Entwurf für einen Hypertext stammt jedoch weder von Apple noch von Microsoft, sondern aus der Geschichte „Der Garten der Pfade, die sich verzweigen“ von Jorge Luis Borges aus dem Jahr 1944. Darin beschreibt Borges einen Garten und ein Labyrinth, die in Wirklichkeit ein aus Fragmenten bestehender, nichtlinearer Roman sind, ein ungebundenes Konvolut narrativer Irrwege, Kreuzungen und Sackgassen.

Auch dem 1966 geborenen amerikanischen Autor Danielewski reicht das lineare Erzählen nicht mehr aus. Zudem kennt er sich bestens aus in der medialen wie narrativen Welt des Internets. Er zählt aber auch Borges und dessen Verehrung der Buchkultur zu seinem geistigen Erbe. Während er daher Teile seines Debütwerkes über das Internet veröffentlichte und sich so eine Fangemeinde schuf, presste er das Ergebnis seiner Arbeit am Ende wieder zwischen zwei Buchdeckel. Wobei das Bild des Pressens hier durchaus zutreffend ist: Danielewskis Werk ist nicht nur inhaltlich ausufernd, es führt das Objekt Buch und den materiellen Text buchstäblich an ihre physischen Grenzen. Zwar gibt es bereits zahllose Versuche, die Linearität von Text aufzubrechen, von der barocken Kombinationslyrik bis zu den Büchern von Julio Cortázar oder Milorad Paviÿ im 20. Jahrhundert. Noch nie aber ist jemand so konsequent vorgegangen wie Danielewski.

In der Geschichte im Zentrum dieses Romanlabyrinths zieht der berühmte Fotograf Will Navidson mit seiner Familie in ein altes Haus auf dem Land. Bald macht er eine merkwürdige Entdeckung: Das Haus ist innen größer als außen. Während er versucht, dieser physikalischen Unmöglichkeit durch Messungen auf den Grund zu gehen, findet er eine Tür, die eigentlich nur hinaus in den Garten führen dürfte. Stattdessen öffnet sich dahinter ein Gang mit weiteren Türen, die in große Räume führen bis hin zu gigantischen Hallen und einer Wendeltreppe, die offensichtlich kilometerweit nach unten führt. Es ist eine eisige, vollkommen lichtlose, leere Welt, die Form und Größe ständig verändert und aus deren Tiefen ein bestialisches Grollen zu hören ist. Wer diese Welt betritt, wird zwar nie deren Grenzen finden, dafür umso schneller die eigenen.

Die Art, wie diese Geschichte präsentiert wird, nimmt das Prinzip des Labyrinths auf und verwandelt es in Leseerfahrung. Da ist zum einen die komplizierte Verschachtelung der Vermittlungsebenen: Navidson macht aus seinen Erkundungen des Hauses einen Dokumentarfilm. Dieser Film, den es vielleicht gar nicht gibt, wird von einem Mann namens Zampanò ausführlich analysiert. Diese Analyse, samt ihrem pseudogelehrten Fußnotenapparat, einer genüsslichen Satire auf den Akademikerbetrieb, macht den Hauptteil des Buchs aus, jedoch erst in der von Johnny Truant bearbeiteten Version. Truant findet Zampanòs chaotische Notizen nach dessen Tod und versieht sie nun seinerseits mit Fußnoten, die sich oft über viele Seiten erstrecken und von einer weiteren Obsession mit dem Haus berichten. Daran schließen sich mehrere hundert Seiten Anhang an.

Zu dieser Konstruktion zwischen Nabokov und E.T.A. Hoffmann kommt die außergewöhnliche typografische Textgestaltung. Nicht nur verschlingen die Fußnoten immer wieder den Haupttext und unterscheiden sich die verschiedenen Erzähler durch unterschiedliche Schriftarten – je mehr das Haus und seine unmöglichen Räume in den Text eindringen, desto mehr spielt dieser im wahrsten Sinne des Wortes verrückt. Fußnoten finden sich als Spalten neben dem Text, mal auf dem Kopf, mal spiegelverkehrt und schließlich als ein Wurm, der sich buchstäblich durch den Text hindurchfrisst. So wie die Räume in Navidsons Haus expandiert und kontrahiert sich der Text, so dass nicht selten nur wenige Worte auf einer Seite stehen und man schneller liest, als man blättern kann. Wenn diese Worte noch vertikal, horizontal, oben, unten und kopfüber angeordnet werden, verliert der Leser, der das Buch ständig herumdrehen muss, für einen Augenblick selbst die physische Orientierung.

Dies sind nur einige wenige der gestalterischen und strukturellen Besonderheiten von Danielewskis Buch. Das eigentliche Kunststück aber ist, dass sich dieses Monstrum an gestalterischer und konzeptueller Extravaganz trotz oder sogar wegen aller Taschenspielertricks mit Genuss lesen lässt. „Das Haus“ funktioniert meisterhaft, und zwar auf allen seinen Ebenen. Die Geschichte um das mysteriöse Haus mit seinem labyrinthisch unendlichen Innenleben ist eben nicht nur ein intellektuell-verspielter, sondern auch ein beklemmender Thriller, spannender als so manches, was vom King’schen Furchtfließband kommt.

Es ist eine Kopfgeburt, aber sie entspringt aus dem Teil des Kopfes, aus dem auch das Unheimliche stammt. Denn das Haus und das Buch und auch der Kopf, das erkennt man, wenn man dieses einzigartige Meisterwerk der Postpostmoderne gelesen hat, sie sind alle ein und dasselbe: unmögliche Orte, verwirrende Labyrinthe, großartig in ihren Möglichkeiten und beängstigend in ihren Abgründen.

Mark Z. Danielewski: Das Haus. House of Leaves. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke. Klett-Cotta, Stuttgart 2007. 827 Seiten, 29,90 €.

Sebastian Domsch

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