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Filmstill aus „DOKU the Self“, einem 36-minütigen
3D-Animationsfilm.

© © LuYang

LuYang zeigt die Kunst der Zukunft: Spirituelles aus Strom

Im Palais Populaire konfrontiert LuYang als „Artist of the Year“ das Publikum mit einem digitalen Selbst in unendlichen Variationen.

| Update:

Langweilig muss es den Tieren auf der Arche Noah gewesen sein. Ein alter, wenn auch geräumiger Holzkörper, in dem sie geduldig auf bessere Zeiten warteten. Die schweben nun in einem Video von LuYang ein: Die neue, zeitaffine Arche hat die Form eines technoiden Luftfahrzeugs, wie man es aus „Star Wars“ oder als „Raumschiff Enterprise“ kennt.

Hinter LuYangs tanzendem Avatar, der die Kommandobrücke besetzt, vergnügen sich Löwe und Nilpferd auf Laufbändern. Bewegung heißt das Gebot der Stunde, es ist das zentrale Moment der überwiegend digitalen Ausstellung „Doku – Experience Center“ im Berliner Palais Populaire. Alles hier überwältigt einen mit schier atemlosen Tempo.

Als „Artist oft the Year“ der Deutschen Bank zeigt sich LuYang, ein:e Künstler:in mit non-binärer Identität, mit dieser Schau erstmals institutionell in Deutschland. Präsent ist das Werk allerdings schon seit Jahren, auf der 59. Biennale in Venedig zeigt die Gruppenschau „The Milk of Dreams“ ebenfalls eine Arbeit und im asiatischen Raum zählen die Videos zu den wichtigen Kunstproduktionen der Gegenwart, weil sie fast schwerelos Science Fiction mit Manga, Anime und Gaming verknüpfen.

Berührungsängste mit der kommerziellen Zone der Mode gibt es keine, ein Avatar als Model auf der Pariser Fashion Week ist für LuYang ebenso selbstverständlich wie der (virtuelle) Auftritt mit der britischen Band THE 1975. LuYang, 1985 in Shanghai als Frau geboren und an der China Academy of Arts in Hangzouh ausgebildet, verkörpert die Eigenschaften seiner/ihrer Generation auf fast unheimliche Art: Zwar hängt ein reales Fotoporträt im Entrée zur Ausstellung, doch könnte man sich die Protagonistin ebenso als ein rein digitales Phänomen vorstellen.

„Doku Experience Center“, der Titel der Ausstellung, bezieht sich auf einen fast alle Arbeiten umfassenden Werkzyklus und schöpft sämtliche Möglichkeiten einer Verschmelzung der Wahrnehmungsebenen aus. Von jedem Bildschirm blickt einem LuYangs Gesicht entgegen, und jede Sekunde wechseln die Figuren ihre Frisuren wie auch den futuristischen Dress. Man kennt das aus Pop-Videos, doch in der animierten Welt der Doku-Avatare sind den rasanten Verwandlungen überhaupt keine Grenzen mehr gesetzt. In dem vierminütigen Video „Doku The Matrix“ (2022) performed ein ebenfalls genderneutrales Sextett unter anderem in einer Kirche zu Techno-Beats. Sechsmal LuYang, gecastet hat sie/er sich selbst: Ist die ideale Besetzung erst einmal gefunden, lässt sie sich virtuell beliebig oft kopieren. So etwas blüht den ohnehin hochartifiziellen Girl- und Boygroups ganz sicher im Musikbusiness der Zukunft.

Hinter der personellen Vervielfältigung von LuYang stecken allerdings noch viel mehr Querverweise. Eine tiefere Ebene, die auch die Auszeichnung zum „Artist oft the Year“ jenseits aller Hyper-Technologie der Arbeit erklärt: Es ist der Bezug zur buddhistischen und hinduistischen Tradition. Die Kostüme der Tanzenden sind nämlich keineswegs Produkte der Fantasie. Vielmehr basieren sie auf den Vorstellungen einer uralten spirituellen Idee, nach der die Wiedergeburt den unendlichen Kreislauf von Werden und Vergehen am Laufen hält. Verkörpert wird diese Vorstellung vom karmischen Lebensrad, das man in den Videos erst einmal für eine grandiose Bühnenstaffage hält. Dabei entspringt vieles der spektakulär inszenierten Orte, Frisuren und Kostüme in den Videos historischer Bildtradition.

Selbst der abgetrennte Kopf in der Hand von LuYang hat historische Bezüge

LuYang trägt als Avatar einen Anzug mit Tattoos, die die Ornamente einer vorchristlichen japanischen Epoche wieder aufgreifen. Und der Avatar namens Doku symbolisiert in jeder seiner sechs Versionen die Elemente einer traditionellen Wiedergeburt: darunter Human, Heaven, Hungry Ghost und Animal. Was auch die Tiere im Hintergrund der zuckenden, tanzenden Gestalt vor dem Raumschiff-Ambiente erklärt.

Selbst der abgetrennte Kopf in anderen Episoden von „Doku The Experience“, den LuYang wie ein Weihrauchfass durch die Gegend schleudert und aus dessen Hals dunkler Rauch quillt, hat sein Vorbild im höllischen Segment des Karmakreises. So entfaltet sich in der bunten, krachenden Multimedia-Welt ein kosmisches Universum, durch das der Digital Human als Zeitgeist im Wortsinn stolpert.

Solche Themen interessieren LuYang mindestens so sehr wie die jüngste multimediale Technik. Im Gegensatz zu Doku ist der/die echte Künstler:in durchaus sterblich, empfindet Einsamkeit oder die Fluidität von Körpern, die sich der konventionellen Einteilung in männlich oder weiblich nicht mehr beugen wollen. In einem Interview erklärte LuYang die eigene Endlichkeit kürzlich sogar zur „Frage aller Fragen“. Der Avatar kennt dagegen weder Gender noch Schmerz, zuende ist es mit ihm nur beim Stromausfall.

Ein minimales Risiko im Vergleich zum emotionalen Wirrwarr der Realität. Kein Wunder also, wenn LuYang als Digital Native in die virtuelle Welt ausweicht. Dank aufwändiger Technik und mithilfe Hilfe zahlreicher Expert:innen aus den Bereichen Tanz, Musik und Wissenschaft inszeniert sich seine/ihre Kunst als immersives Erlebnis, das einen im Palais Populaire einhüllt und mitreißt. Obwohl man sich mittedrin auch fragt, ob die Arbeiten angesichts der digitalen Entwicklungen in wenigen Jahren nicht bald selbst schon wieder wie von gestern wirken.

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