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Der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935, Foto ca. 1930) gilt als Begründer der ersten Schwulenbewegung.

© epd/Bildarchiv Pisarek/akg-images

Magnus Hirschfeld Superstar: Ein Schlag ins Gesicht behinderter Menschen

Den Sexualwissenschaftler in Berlin als Vorreiter der queeren Emanzipationsbewegung zu feiern, ohne die dunklen Kapitel seiner Arbeit zu erwähnen, ist nicht zu ertragen.

Eine Kolumne von Debora Antmann

Es gibt zwei Modi, in denen jüdische Persönlichkeiten können: Jesus oder Weltherrscher. Komplexer wird es selten, ein Beispiel dafür ist Magnus Hirschfeld. Der jüdische Sexualforscher, der in Berlin lebte und wirkte, gilt als Vorkämpfer für die Rechte von Queers. So weit, so richtig. Gleichzeit war Hirschfeld auch Befürworter der Eugenik.

Der Berliner Queer-Beauftragte Alfonso Pantisano hielt es im vergangenen Monat – während er feierlich mit Plakaten, Interviews und Festlichkeiten Hirschfeld als „Kämpfer für die Liebe“ preisen ließ, der „das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gefordert und verteidigt hat“ – allerdings nicht für nötig, diesen Umstand ein einziges Mal zu erwähnen. Hirschfeld wird stattdessen zu einer unanfechtbaren, jesusähnlichen Figur – dem Kämpfer für Liebe – erhoben. Hirschfeld selbst hielt Eugenik allerdings für einen wichtigen Teil seiner Arbeit und benannte seine „Gesellschaft für Sexualwissenschaften“ 1913 in „Gesellschaft für Sexualwissenschaften und Eugenik“ um.

Befürworter der Zwangssterilisation

Es würde Hirschfelds queeren Errungenschaften keinen Abbruch tun, diese Realität zu benennen. Es nicht zu tun, ist ein Schlag ins Gesicht behinderter Menschen. Anders lässt sich die Entscheidung nicht beschreiben, unkommentiert einen Wissenschaftler als Pionier der Selbstbestimmung zu präsentieren, der Eugenik zur Prävention von „Degeneration“ als grundlegenden Teil seiner Arbeit betrachtete. Und der sehr deutlich Zwangsmaßnahmen gegenüber jenen befürwortete, die seiner Einschätzung nach nicht in der Lage waren, über ihre eigenen Körper zu bestimmen.

Nach Hirschfeld sollte Zwangssterilisation als eugenisch vorbeugende Maßnahme bei Menschen erlaubt sein, die „geistig so verblödet sind, daß sie außer Stande sind, über sich selbst zu verfügen“. Als behinderte, jüdische Lesbe fordere ich seit Jahren eine transparente und kritische Würdigung seiner Arbeit, ohne die überzogene Glorifizierung. 2022 veröffentlichte die an der University of Washington lehrende Person Laurie Marhoefer das Buch „Racism and the Making of Gay Rights“, in dem Hirschfelds Arbeit kritisch betrachtet wurde. Untertitel: „A Sexologist, His Student, and the Empire of Queer Love“. Imperium – ich sage ja, es geht nur Jesus oder Weltherrscher. Ein menschliches Mittel ist einfach nicht vorgesehen…

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