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Am Stand der Southern Guild Gallery aus Kapstadt mit ihren Künstler:innen, die die Unterschiede zwischen Kunst, Design und Handwerk verwischen.

© Faith Decker

Modus Multiversum: Die Messe Expo Chicago feiert Jubiläum

Vor zehn Jahren rettete Tony Karman Chicago vor dem Ende als Metropole des Kunsthandels. Auf seiner Messe kann man Entdeckungen machen, sich aber auch im Superkitsch verirren.

Von oben, auf der Empore der Halle, wirkt die Expo Chicago recht überschaubar. Doch das täuscht. Fast 180 Galerien versammeln sich im Jubiläumsjahr der Kunstmesse in Amerikas mittlerem Westen in dem einen, ziemlich hohen Raum am Navy Pier. Taucht man dann zwischen den Ständen ab, schlägt die Welle aus Farben und Formen schier über einem zusammen. Die Expo Chicago ist maximal malerisch und deshalb anders als viele Messen, die man kennt. Doch das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein.

Was sie von europäischen Messen unterscheidet, macht Francesca Vattuone von der Galerie La Forest Divonne (Paris/Brüssel) mit einer präzisen Bemerkung klar. Anfangs brachte sie vor allem Kunst nach Chicago, die historisch verankert und erklärungsbedürftig war. Heute zeigt die Galerie an ihrem Stand prominent ein großes, abstraktes Gemälde von Jeff Kowatch, das für sich sprechen soll. Es gäbe schon einiges über den 1965 in Los Angeles geborenen Künstler zu erzählen, der sowohl den abstrakten Expressionismus seiner US-amerikanischen Vorgänger:innen als auch die flämischen Meister verinnerlicht hat, denen er in seiner zweiten Heimat Brüssel begegnete. Doch das dunstig atmosphärische Bild zum Preis von 42.000 Dollar zieht einen auch so in seinen Bann.

Manche Motive wirken farblich ziemlich überhitzt

Links davon hängt ein Teil der fotografischen Serie von Elsa & Johanna. 88 Selbstporträts hat das junge Duo nach Art von Cindy Sherman geschaffen; bloß dass hier gleich zwei Frauen in immer anderen, oft vertraut wirkenden Posen abgebildet sind. Ihre Kunst werde derzeit viel gezeigt, sagt Vattuone und meint damit französische Fotofestivals oder eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe. Institutionen aus den USA stehen bislang nicht auf der Liste von Elsa & Johanna, die Idee einer Wiedererkennung verfängt nicht. Es ist also ein Experiment, doch mehr als Sidekick für ein Publikum, welches nicht sofort von den großen, farblich teils völlig überhitzten Motiven in den Nachbarboxen aufgesogen wird.

In Chicago leben Schwarze Künstlerstars wie Kerry James Marshall

Davon gibt es reichlich, und manches schwelgt noch dazu hemmungslos in Glitter. Was auffällt: An die Stelle der ewig normativen Porträtierten – egal ob in weitem Hoodie oder enger historischer Uniform – treten auf der Expo Chicago vielfach People of Colour. Das entspricht nicht bloß der Realität einer Metropole, in der Schwarze Künstlerstars wie Kerry James Marshall oder Theaster Gates leben. Es spiegelt gleichzeitig die Bedürfnisse von Sammler:innen wie Museen. Die Leerstelle, was Black Life in der Kunst der vergangenen Jahrzehnte anbelangt, ist gravierend, ein Werk wie das von Marshall, Jahrgang 1955, jedoch inzwischen millionenschwer und kaum noch erschwinglich. Diese Lücke wird in Chicago gefüllt. Mit grandiosen Motiven wie denen von Oasa DuVerney, deren monumentale Zeichnungen von der New Yorker Welancora Gallery gezeigt werden. „Assata Shakur as Queen Nzinga of Ndongo Preparing for Ascent“ (2023) deuten die Komplexität der in Brooklyn lebenden Künstlerin an.

Den Gap schließt ebenso Gordon Parks, Erfinder des Blacksplotation-Helden Shaft und Chronist afroamerikanischen Lebens in Chicago ab den 1940ern, dessen Vintage-Fotografien von der Rhona Hoffman Gallery (Chicago) ab 10.000 Dollar angeboten werden. Oder die Catharine Clark Gallery aus San Francisco, auf deren Website der Satz steht: „We recognize that we live and work on the traditional and unceded Indigenous land of the Ohlone, Ramaytush, and Muwekma people.“ Es gibt jedoch auch zahlreiche Werke, in denen die Schwarzen Protagonist:innen kaum etwas an der betulichen Sprache der Bilder ändern. Nicht einmal, wenn sie – mit Perlen und Stoff beklebt – in den Modus Superkitsch schalten und zwischen Pop und Diskurs zu changieren vorgeben. Vieles davon wird in ein paar Jahren keine Rolle mehr spielen.

Die Expo Chicago hat mit harter Konkurrenz zu kämpfen

Jetzt aber nagt es am Eindruck der Messe. Und es sorgt dafür, dass man sich an Stände etwa von Yares Art rettet, wo die bewährte Garde hängt. Mit Gemälden von Kenneth Noland oder Morris Louis, dessen riesige Leinwand aus den sechziger Jahren 2,9 Millionen Dollar kostet, gelingt der New Yorker Galerie, die ebenfalls 1964 gegründet wurde, ein nahezu musealer Auftritt. Flankiert wird sie von Max Hetzler (Berlin/Paris/London), der ausnahmslos figürliche Leinwände von André Butzer hängt, und der Galerie Werner (Berlin/NY/London) mit Namen wie Markus Lüpertz oder Per Kirkeby . Etwas versteckt hängen zwei Zeichnungen von Andy Robert, die die Galerie ohne jede Künstlerin im Programm dann doch etwas divers machen: Robert, Jahrgang 1984, stammt aus Haiti, seine mit den Daumen gemalten Bilder sind zugleich rauh und lyrisch.

Als Tony Karman die Expo Chicago vor zehn Jahren gründete und die Stadt damit vor einer Peinlichkeit bewahrte, war dies alles noch kein Thema. Damals ging es um den Fortbestand der Kunstmesse in einer Stadt, die diese Form des Kunsthandels für die USA mit erfunden hat. Messen wie die Art Basel Miami oder die Frieze in New York kamen viel später.

Heute sind sie harte Konkurrenten für die „Windy City“ am Michigan Lake. Weshalb Karman immer wieder die Internationalität seiner Messe betont. Wahr ist aber auch, dass die Expo Chicago ein besonderes Profll braucht, um mitzuhalten. Ihre Diversität, die sich an Ständen wie von Kornfeld aus Berlin und der Braverman Gallery aus Tel Aviv fortsetzt – beide zeigen junge Künstler, die das queere oder ganz fluide Liebesleben thematisieren –, ist ein Aspekt. Ein zweiter gilt den Galerien selbst, die sich wie Southern Guild aus Kapstadt aufmachen, um ihr alle Unterschiede zwischen Kunst, Design und Handwerk verwischendes Programm zu zeigen. Schließlich zieht die gesamte Stadt mit: Nahezu alle wichtigen Galerien Chicagos, wie Corbett vs Dempsey oder Kavi Gupta, sind auf der Expo vertreten, und ein Luxushotel wie „The Peninsula“ stellt seine Korridore für die Sammlung von Beth Rudin DeWoody zur Verfügung, die als 17-Jährige ihr erstes Kunstwerk erwarb.

Das Bild „welaughedinthefaceofkingsneverafraidtoburn“ (2020) von David Antonio Cruz gehört zur Sammlung von Beth Rudin DeWoody.

© Monique Meloche Gallery, Chicago

Zusätzlich lädt die Messe seit Jahren Kurator:innen aus aller Welt ein, die nicht bloß gucken, sondern auch debattieren sollen. 54 sind es diesmal: Eine Zahl, die die Ernsthaftigkeit des Projekts dokumentiert, ähnlich wie der junge „Directors Summit“. Das dreitägige Treffen an diesem Wochenende zielt auf die Chefetage der Museen: Man wird über die künftige Gestaltung jener Institutionen sprechen.

Beide Initiativen unterstreichen die intellektuelle Färbung, die Karman seiner Plattform jenseits des Kunsthandels spendiert. Dazu passen auch jene kulturellen Stiftungen und anderen öffentlichen Projekte, deren Stände die Messe säumen. Die druckgrafische, non-kommerzielle Abteilung der Wonsook Kim School of Art der staatlichen Universität Illinois zum Beispiel. Sie stellt in Kollaboration mit Student:innen wie Künstler:innen und deren Galerien anspruchsvolle Editionen in kleiner Auflage her, die bei wenigen hundert Dollar beginnen. Preise zum Einstieg ins Sammeln, die andere große Messen nicht bieten.

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