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Damenwahl I. Olha Savielieva präferiert das antike Silberbuffet im Kunstgewerbemuseum Schloss Köpenick.

© SMB/Valerie Schmidt

Museumswärter zeigen ihre Lieblingsstücke: Was denken Aufsichten über die Kunst?

Sechs Häuser der Staatlichen Museen Berlin proben den Perspektivwechsel mit der Aktion "Jeden Tag im Museum". Darin zeigen Aufsichten ihre Favoriten.

Museumswärter. Das ist kein Berufsstand, der als sexy gilt. Das Beaufsichtigen von Kunstwerken wird gemeinhin als langweilige Beschäftigung angesehen. Die werden fürs Rumstehen und Löcher- in-die-Luft-Gucken auch noch bezahlt, pöbelt der Volksmund.

Und in Literatur und Kino sind die Aufsichten wahlweise Deppen, stumpfe Charaktere wie „der Irrsigler“ in Thomas Bernhards Komödie „Alte Meister“ oder Psychopathen, die Hassgefühle für die Gemälde entwickeln, die sie eigentlich schützen sollen. So wie der erbost am Bild zündelnde Prado-Wärter in Javier Mariás Roman „Mein Herz so weiß“.

Der Wärter malte Augen auf , mit dem Kuli

Anfang des Jahres erst machte ein russischer Museumswärter von sich reden, der im Boris-Jelzin-Museum von Jekaterinburg ein Kunstwerk, das er bewachen sollte, „verschönerte“. Auf das Gemälde „Drei Figuren“ der Künstlerin Anna Leporskaya aus den Jahren 1932-34 hat der Wächter drei Augenpaare gekritzelt. Mit dem Kuli. Weil ihm die Augen in der künstlerischen Darstellung fehlten. Prompt wurde gegen ihn wegen Vandalismus gegen Kulturgüter ermittelt.

So weit, so selten, denn die Regel ist doch, dass das Aufsichtspersonal in den Museen der Welt still seinen verantwortungsvollen Job erfüllt, der mit romantischen Fantasien à la „Nachts im Museum“ herzlich wenig zu tun hat. Schön also, dass die Staatlichen Museen Berlin im Rahmen der in der Museumswelt angesagten Bemühungen um Niedrigschwelligkeit, Diversität und Perspektivwechsel jetzt die Möglichkeit bieten, die Menschen kennenzulernen, die ihre Preziosen bewachen.

„Jeden Tag im Museum. Aufsichten präsentieren ihre Lieblingswerke“, heißt die Präsentation, die vom Museum Europäischer Kulturen in Dahlem über Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum am Kulturforum über die Museumsinsel bis zum Kunstgewerbemuseum im Schloss Köpenick reicht. Und zwar in Form von Aufstellern und großen Karten, die Fotografien der Frauen und Männer vor ihrem Lieblingsstück zeigen und in kurzen Texten deren Begründung erzählen.

Damenwahl. Johanna Lange schätzt das Gemälde "Helios und Phaeton mit Saturnus und den vier Jahreszeiten" von Nicolas Poussin in der Gemäldegalerie.

©  SMB/Valerie Schmidt

Dreißig Aufsichten mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen haben sich an der Aktion beteiligt, die auch schon in anderen Museen der Welt durchgespielt wurde. Menschen wie Sergey, der in Lettland Kunstlehrer und Grafikdesigner war und jetzt seit 2017 im Pergamonmuseum arbeitet.

Er hat sich vor dem Neubabylonischen Ischtar-Tor aus dem 6. Jahrhundert vor Christus fotografierten lassen. Die Bilder des Tors und der Prozessionsstraße habe er schon als Kind im Lehrbuch gesehen, lässt er sich zitieren. „Für mich war es eine Überraschung, dieses Werk in der Realität in Berlin, im Zentrum Europas, zu treffen.“

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Sultan Machigov und Olha Savielieva haben sich im Schloss Köpenick beide in dasselbe Stück verguckt: in das Große Silberbuffet aus dem Rittersaal des Berliner Schlosses, das aus dem 17. Jahrhundert stammt. „Es wäre toll, so was zu Hause zu haben, wenn Freunde zu Gast kommen“, sagt Machigov über das Prachtgeschirr, und Savielieva fühlt sich davon an das Sonntagsgeschirr ihrer Mutter aus DDR-Produktion erinnert.

Ähnlich wie Amela Jusufovic, Aufsicht im Museum Europäischer Kulturen, die beim Anblick eines prächtig bemalten sizilianischen Karrens von 1904 an ihr Zuhause im ehemaligen Jugoslawien denkt, wo auch solche Gefährte unterwegs waren und sind. „Auch bei den Roma und vor allem für die Frauen, die ihre Hochzeit organisieren. Da wird das Pärchen aufgemalt, die Geschichte, wie sie sich kennengelernt haben, sowie die Familienwappen.“ Biografische Erinnerungen, Assoziationen, persönlicher Geschmack und Schönheitsempfinden – all das spielt bei der Identifikation der Aufsichten mit einem Gegenstand eine Rolle.

Kopfsache. Azzad Ismail Dhif gefällt die Büste des Königs Echnaton im Neuen Museum.

© SMB/Valerie Schmidt

Richtig kennen lernt man die Leute aber doch erst, wenn man mit ihnen über ihre Auswahl spricht. Mit dem Archäologie-Fan Hartmut Peters beispielsweise, der „selbst gern ein kleiner Schliemann geworden wäre“, und sich im Vorderasiatischen Museum einen Alltagsgegenstand gewählt hat. Ein Tongefäß in Form zweier Schweinchenköpfe. Die Spitzschnauzen erinnern ihn an die Pfeffer- und Salzstreuer im Partykeller seiner Eltern. „Die sind knuffig, man muss sie liebhaben“, findet er. Sicher seien sie weniger imposant als andere Stücke, aber sie erzählten vom Alltag der Menschen aus dem 8. Jahrhundert vor Christus.

Peters macht den Job seit zwölf Jahren. Sein Kollege Thomas Burghardt, der ebenso wie alle Wachen im Pergamonmuseum Angestellter der Securityfirma „Guard“ ist, erst seit April 2021. Den Sommelier und Hobbymusiker hat die Corona-Krise aus einer Weinbar ins Museum verschlagen.

Teppich-begeistert trotz Stauballergie

Sein Liebling ist ein Teppichfragment im Museum für Islamische Kunst. 1945 im Bombenkrieg beschädigt, wurde der Teppich von einer alten Dame mit Nadel und Faden zusammengeflickt. Die Geschichte gefällt Burghardt, der der Textilie eine warme, sinnliche Aura attestiert. „Trotz meiner Stauballergie.“

Als Security-Angestellter ins Fußballstadion zu gehen, käme für Burghardt nie infrage. Er zehrt bei der Arbeit vom Nimbus des Museums. „Ein Ort mit guter Atmosphäre, mit Stil, mit anspruchsvollen Objekten, in denen ich mich verlieren kann“, sei ihm wichtig. Wobei er privat die Moderne und Zeitgenössisches bevorzugt und lieber in den Hamburger Bahnhof und die Neue Nationalgalerie geht.

[Bis zum 2. Oktober in sechs Häusern der Staatlichen Museen Berlin]

Ganz anders als Michael Buchholz, der vor drei Jahren im Neuen Museum angefangen hat und nun als Aufsichtsleiter im Museum für Islamische Kunst das Personal einteilt. Buchholz erzählt, dass er seit 40 Jahren klassizistische Kunst sammelt. Der Typograf, der 15 Jahre lang eine eigene Werbeagentur betrieben hat, ist nach einer Erkrankung ins Museum gekommen.

Er favorisiert eine schlichte, mit Schriftzeichen geschmückte Schale aus dem Iran des 11. Jahrhunderts. „Sie ist für mich am ausdrucksstärksten. Der Gestalter hatte keine Angst vor dem freien Raum, fühlte keinen Horror vacui.“ Was der darauf abgebildete Segensspruch genau heißt, haben ihm bisher aber noch nicht mal arabischsprachige Besucher sagen könnten, die er danach gefragt hat.

Rotation soll die Monotonie mildern

Die Aufsichtsarbeit, die die Wärter:innen, um die Monotonie zu verringern, in einer Rotation durch die Räume führt, sei anstrengend, weiß Buchholz. „Stellen Sie sich vor, Sie warten irgendwo auf eine Person, mit der Sie sich verabredet haben, und sie kommt den ganzen Tag nicht.“ So ungefähr fühle es sich an, acht Stunden in einer Ausstellung zu stehen. Im Pergamonmuseum, durch das an diesem Vormittag Scharen aufgekratzter Schulklassen ziehen, ist auch die Notwendigkeit, auf das Verhalten der Besucher:innen zu achten, nicht zu unterschätzen.

Dabei arbeiten seit einiger Zeit auch Aufsichten mit, die als Geflüchtete aus Somalia oder Syrien kamen. Das helfe, die Lücken zu schließen, die durch Berentungen entstünden, erläutert Buchholz. Er selbst hat erst einmal eine Situation erlebt, bei der er glaubte, dass sie eskaliert. „Da hat ein Besucher die Figuren in der Rotunde des Alten Museums angeschrien.“

Was der Museumswärter gemacht hat? Nichts. Aufsichten dürften erst eingreifen, wenn ein Werk berührt wird. Zum Glück beruhigte sich der Schreihals von selbst wieder. Womöglich unter dem heilsamen Einfluss der Kunst.

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