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Kultur: Neuer Berliner Kunstverein: Götterboten - Zeichnungen von Per Kirkeby

Auf dem jüngst renovierten Bundesratsgebäude in der Leipziger Straße sind acht unförmige Haufen zu erkennen. Was zunächst aussieht wie die sackförmige Winterabdeckung von Sandsteinskulpturen, gibt sich bei näherer Betrachtung als gestaltete Skulpturen zu erkennen.

Auf dem jüngst renovierten Bundesratsgebäude in der Leipziger Straße sind acht unförmige Haufen zu erkennen. Was zunächst aussieht wie die sackförmige Winterabdeckung von Sandsteinskulpturen, gibt sich bei näherer Betrachtung als gestaltete Skulpturen zu erkennen.

Dem dänischen Bildhauer und Maler Per Kirkeby war die Ehre zuteil geworden, eine deutsche Volksvertretung mitgestalten zu dürfen. Im Rahmen einer kleinen Retrospektive seines zeichnerischen µuvres zeigt die am Wochenende eröffnete Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein erstmals die zeichnerischen Skizzen für die Arbeit im Bundesrat. Sie sind eingebettet in umfangreiche Werkblöcke aus den achziger und neunziger Jahren, die nun erstmals zusammenhängend gezeigt werden.

Das war auch höchste Zeit, denn Kirkeby hatte seit seiner Ausstellung 1982 in der daad-Galerie keine weitere mehr in Berlin. Damals hatte er zum Abschluss seines Berlin-Stipendiums Zeichnungen aus den Jahren seit 1964 gezeigt. Die aktuelle Ausstellung beginnt also passenderweise dort, wo Kirkebys letzte Berliner Präsentation endete.

Um das Material für die kleine Retrospektive zusammenzubekommen, wurde Kirkebys Atelier durchkämmt und das Depot seines Kölner Galeristen Michael Werner geleert. Man sieht es vielen Arbeiten und Werkblöcken an, dass sie noch nicht gezeigt wurden; als Formate dominieren Notizblöcke und karierte Kolleghefte, Packpapier und Spiralblockblätter. Sie zeigen das bedeutende zeichnerische Werk eines Bildhauers und machen deutlich, dass Zeichnungen bei Bildhauern meist nicht allein Vorstudien und Abfallprodukt sind, sondern ein eigenständiges Werk innerhalb des - bei Kirkeby umfangreichen - Schaffens bilden.

In seinen Zeichnungen trifft die Massivität der seit Anfang der achtziger Jahre entstandenen Bronzeskulpturen vehement auf das Filigrane der Papierarbeiten. Ausgehend von den Zeichnungen zu den Bundesratsbronzen von 2000 bis zurück ins Jahr 1982 lässt sich ein wechselseitiger Prozess der Verdichtung und Auflösung von Körperlichkeit beobachten. In Kirkebys Zeichnung lösen sich die wuchtigen Körper seiner Plastiken langsam auf in haarfeine, traditionell mit Bleistift, Kugelschreiber, Kohle und Tusche gefertigte Zeichen.

Frei und scheinbar gelöst von der Last der Materie bewegt sich die Hand des Bildhauers auf dem rauhen Papier. Als wolle er in seiner Zeichnung der Dichte der Plastik entgegenarbeiten, treten die Blöcke auseinander und geben dem Weiß des Papiers Raum. Je unfertiger seine Zeichnungen belassen sind, desto mehr löst sich die wuchtige Masse; bald kann man nicht mehr von Körpern sprechen. Das Zergehen der Körper auf den zerfledderten - und gewiss nie zur Ausstellung bestimmten - Blättern ist ein ästhetisches Ereignis; die Masse zerfließt langsam wie Butter in der Pfanne.

Die Zeitspanne dieses Zergehens sind die achtziger und neunziger Jahre. Während die Körperlichkeit in den Bundesratbronzen im Eingang der Schau zu voller Pracht entwickelt ist, sind die Zeichnungen der achtziger Jahre noch abstrakter und ungegenständlicher. Insofern ist die kleine Kirkeby-Retrospektive auch ein Rückblick auf jene Jahre, als die expressive Geste für sich stehen konnte. Zweifellos: Man muss sich erst wieder einsehen in die Zeit des rollenden Rubels und der großen Malermythen.

Ende der Achtziger wird Kirkeby bereits wieder gegenständlicher, massiver. Mit dem Abflauen des Kunstbooms formiert sich der Körper wieder zu festeren Bastionen; parallel zur Krise des Kunstmarktes schnürten sich auch seine Figuren wieder zusammen. Jedenfalls nehmen Kirkebys Zeichnungen in den neunziger Jahre wieder direkter auf die Skulptur Bezug. Damit schließt sich am Ende der Ausstellung der Kreis, und Kirkeby langt wieder da an, wo die Schau begonnen hatte: Die verlorenen Zeichen fügen sich wieder zu Massiven zusammen, aus dem Gewölk der Zeichen wird wieder ein Donner. Und selbst christliche Metaphorik und Heldenmythen brechen - ähnlich wie bei Lars von Trier - wieder in die Zeichnung ein. Doch während der Filmemacher am Ende von "Breaking the Waves" die Glocken läuten lässt, platziert Kirkeby seine Götterboten auf dem Dach des Bundesrates.

Knut Ebeling

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