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Charlotte Simon und Toben Piel und ihr Maschinenpark.

© Jochen Melchior

Performanceduo Les Trucs: Der Tanz der Organe

Das Frankfurter Duo Les Trucs spielte in der Berghain-Kantine und ließ dabei kein Körperteil am anderen. Das Protokoll einer Sektion.

Die Kantine am Berghain erinnert an diesem Donnerstagabend an die morbide Szenerie einer öffentlichen Anatomie-Vorführung. Inmitten des Raumes, dessen Decke durch die Ausdünstungen immer neuer Konzertbesucher abblättert, steht ein großer Sektionstisch. Doch statt menschlicher Innereien quillt darauf ein Gewirr aus Kabeln hervor. LEDs flackern und werfen ein fahles Licht auf die bereitliegenden Instrumente. Statt Skalpell, Nadel und Faden zeichnen sich die Konturen von Synthesizern, Drum-Computern und Effektgeräten ab.

Das Operationsteam heißt Les Trucs. Es besteht aus Charlotte Simon und Toben Piel, die seit zehn Jahren zwischen Improvisation und strenger Struktur vorprogrammierter Takte ihre eigenen elektronischen Zwitterwesen erschaffen. Eingängige Melodien der Electronic Body Music treffen auf sinfonischen Bombast und polyrhythmisches Trommelfeuer.

Fluide Grenzen als Konzept

„Jardin du Bœuf“ taufte das Frankfurter Duo sein drittes Studioalbum, auf dem der menschliche Körper im Mittelpunkt steht. Im Opener des Abends doziert Simon aus Nebelschwaden heraus: „Ich bin ein Chirurg. Ich schneide ab und klebe an.“ Und das nicht nur auf klanglicher Ebene. Denn hinter der musikalischen Organschau, die Les Trucs vornehmen, wird textlich immer wieder das Gesellschaftliche thematisiert, das sich im menschlichen Körper einschreibt. „Es liegt an dir, dich gut zu fühlen“, besingen sie die Auswirkungen der Selbstdisziplinierung und -optimierung. Was längst internalisiert erscheint, legen Les Trucs mit chirurgischer Präzision frei. Auch wenn sie dabei über die Schmerzgrenze der Scham hinaus müssen und „Blut, Eiter, Kot und Insekten“ besingen.

Es gibt viel zu bestaunen: Aufgerissene Münder und verdrehte Augen, das Zucken und Aufbäumen der Körper des Duos, als würde es sich gegen die Zumutungen seines eigenen Werks zur Wehr setzen. Es ist schwer auszumachen, was hier im Mittelpunkt steht. Komposition, Text, Bewegung oder Lichtinstallation? Und wer bedient hier eigentlich was? So fluide die Grenzen zwischen Band und Technik in diesem Mensch-Ding-Orchester, so verschwommen ist auch die Trennlinie zum Publikum. Zeitweise verschwinden Les Trucs im Gewimmel der sie umgebenden Körper, während die Computer übernehmen. Und aus der Mitte des Raums entspringt die Lust am Tanzen.

Nach 45 Minuten ist die Operation an Trommelfell und Hörgewohnheiten der Anwesenden bereits beendet. Und während verschwitzte Leiber nach draußen taumeln, stellt sich die Erkenntnis ein, dass das Publikum hier keineswegs einer Sektion beiwohnte, sondern selbst im Zentrum einer umfassenden anatomischen Betrachtung stand.

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