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Mikhail Pletnev gewann einst als 21-Jähriger den Tschaikowsky-Wettbewerb

© Mat Hennek

Pianist Mikhail Pletnev in Berlin: Kühn sein und frei bleiben

Mikhail Pletnev begeistert beim Klavierabend in der Berliner Philharmonie mit seiner großen Künstlerpersönlichkeit – und Werken von Bach, Brahms, Chopin und Shor.

Berlin scheint ihn vermisst zu haben. Das legt jedenfalls der tosende Beifall nahe, der Mikhail Pletnev gleich zu Beginn seines Recitals in der Philharmonie empfängt und sich am Ende noch einmal enthusiastisch steigert. Doch zu mehr als zwei Zugaben lässt sich der Maestro nicht bewegen.

Die aber zeigen noch einmal beispielhaft seine pianistische Klasse und Freiheit zugleich: Chopins frühes Es-Dur-Nocturne, das in beiläufigem Fließen die ganze Pracht seiner Bellini-Kantilenen entfaltet und dessen irisierende Schlusspassage er verlängert, als wolle Maria Callas den langen Atem ihrer Spitzentöne beweisen. Zum anderen Glinka/Balakirevs „Lerche“, in der Triller und Läufe wie Libellenflügel schillern und höchste technische Ansprüche sich in Leichtigkeit verwandeln.

Der große Unbekannte

Unter den Pianisten-Promis ist Pletnev der große Unbekannte: Mit 21 Jahren hochgelobter Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs, ging er von da an seinen eigenen Weg. In der sowjetischen Abgeschiedenheit musste er „original werden“ wie seinerzeit Haydn am Hofe Esterházy. Die Freiheit und Kühnheit seiner Interpretationen trugen ihm öfter den Vorwurf des Manierismus ein; heute schätzt man „das Wichtigste“, das „nicht in den Noten steht“ höher und lässt sich hinreißen von einer Individualität, die stets die Essenz eines Werkes aufspürt und mit überraschenden Deutungen bisher verborgener Stimmen aufwartet, als sei es gerade erst komponiert worden – und zwar für ihn!

Sehr individuelle Interpretationen

Kein leichtes Programm mutet er diesmal seinem Publikum zu, ohne Virtuosen-Kunststückchen, das sich als subtile Bezugnahme zwischen Tradition und Moderne, Ost- und Westeuropa entpuppt. Bachs Englische Suite Nr. 3 mag Puristen verschrecken: Da stürmt das „Prélude“ nicht in der eisernen Rhythmik hämmernden Akkorde dahin, sondern gerät flexibel in besinnlicher verschattete Regionen. Wieviel Brahms steckt schon in diesen farbig leuchtenden Mittelstimmen!

Die einsam singende, von plötzlichen Dissonanzen aufgestörte „Sarabande“ ist schon ein direkter Hinweis auf die „Wiegenlieder meiner Schmerzen“, wie Brahms seine späten Intermezzi nannte. Die drei Stücke von Opus 117 bieten eine Fülle wechselnder Atmosphären, Hoffnungsschimmer in tiefstem Schmerz und zurück zur Resignation.

Darauf baut die e-Moll-Sonate des 1970 geborenen Alexey Shor auf, dem Pletnev sein instrumentales Insider-Wissen lieh, für ein erstaunliches Stück Nostalgie in formvollendeter Eleganz. Das alles wird überstrahlt von Chopins späten Werken: einer Lebensfreude und Vergänglichkeit nachsinnenden, den Klangdunst des Impressionismus vorwegnehmenden „Barcarolle“ und einer melancholisch versunkenen und doch immer wieder den revolutionären Geist ihrer Gattung aufrufenden „Polonaise-fantaisie.“

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