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Konzertvorschau: Bläck Fööss in Berlin: Heimat mit und ohne Jecken

Am Sonnabend spielt Bläck Fööss bei der Kölschen Nacht. Der Bassist der Kultband ist ausgerechnet gebürtiger Berliner. Vom Narrentum in Preußen hält er nichts.

Hartmut Priess weiß jetzt schon, was für Leute nächsten Sonnabend in die Max-Schmeling-Halle kommen: „Heimatvertriebene!“ Auch in Berlin müssten ja viele arme Kölsche leben, seufzt der Bassist der Bläck Fööss. Bei der gemeinsamen „Kegeltour“ dreier Kölner Mundartbands, die als „Kölsche Nacht“ nach Mainz oder München jetzt erstmals auch in Berlin rheinischen Frohsinn feiert, können verzweifelte Gemütskölner hier lange vor Rosenmontag schon mal die rot-weißen Klamotten rauskramen, Pappnasen aufsetzen und kräftig schunkeln und singen. Beim bunten Heimatabend für Lokalpatrioten sozusagen.

Schade nur – und das war ja schon in den großen Jahren der Rockband BAP das Drama – nur der Kölsche versteht, was der Kölsche singt. Bis auf ein paar Ausnahmen. Refrainzeilen wie „Drink doch ene met, stell dich nite su an“ oder „M’r losse d’r Dom en Kölle“ der gleichnamigen Bläck-Fööss-Klassiker schmettern auch mit ihrer eigenen Mundart belastete Berliner mühelos mit. Die müssen außerdem einsehen, dass die Stadt am grauen Rhein in Sachen Dialektmusik in den letzten Jahrzehnten deutlich mehr Reichtum hervorgebracht hat als die Stadt an der grauen Spree. Schon irre, dass es hunderte kleine kölsche Bands gibt und die Großen wie Bläck Fööss, BAP, Höhner oder Brings und Die Räuber, die beide auch in Berlin auftreten, teils gar national und international bekannt geworden sind. Keine andere deutsche Stadt hat so eine lebendige Mundartmusikszene, ihr Nährboden ist – na klar – der Karneval.

Doch längst nicht jedes kölsche Lied ist ein Karnevalsschlager. Und nicht jeder kölsche Musiker ist gebürtiger Kölner. Hartmut Priess jedenfalls, Gründungsmitglied der zum 40. Bestehen vor kurzem erst von Stefan Raab, Wolfgang Niedecken und tausenden Kölnern drei Abende hintereinander vor dem Dom gefeierten Mutter der Kölner Mundartbands kommt aus Berlin, Kluckstraße 31, Schöneberg. Da ist der schlohweiße Bubikopf, Jahrgang 1942, die ersten neun Jahre seines Lebens aufgewachsen. „Ich war eine richtige Trümmerratte“, sagt Priess, der Hochdeutsch mit leicht rheinischem Einschlag spricht und mit seinem leisen Humor alles andere als eine laute Stimmungskanone ist. Das zerbombe Berlin war sein Abenteuerspielplatz. Altmetall suchen, mit einer Horde Kinder durch die Straßen ziehen, frei sein. „Als wir 1951 nach Köln zogen bin ich vor Heimweh fast umgekommen.“

Das ist lang vorbei, obwohl er bei jedem Besuch durch sein altes Berliner Revier spaziert. „Ich hab in Köln dann doch mein spätes Glück mit der Musik gemacht“, ironisiert er die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Bläck Fööss. Wie kommt’s, dass er als unechter kölscher Jung überhaupt mitmachen durfte? „Na, weil ich schon vorher bei dem Verein war. Die brachten’s nicht übers Herz, mich wegzuschicken, nur weil plötzlich Kölsch gesungen wurde.“Bevor ihnen der britische Hüftwackler und Hitparadenstürmer Graham Bonney 1970 die erste Platte auf Kölsch finanzierte, hießen die nackten Füße nämlich Stowaways und waren eine Englisch singende Coverband.

„Heimatmusik“nennt Priess das, was bei der Kölschen Nacht von den Bläck Fööss, den Brings und der Polonäse-Truppe Die Räuber gespielt wird. Klar, dass der Gemeinschaftsrausch Karneval genauso Identität stiftet wie musikalische Folklore und die Gemütssprache Dialekt. Das zu pflegen könne jede Stadt gebrauchen, sagt Bassist Priess, auch Berlin. Trotz aller Anstrengungen zugereister Rheinländer und Entwicklungshilfe durch die Kölsche Nacht hält er Karneval im protestantisch geprägten Berlin aber für verlorene Liebesmüh. „Narrentum liegt den Berlinern nicht, der Berliner Mutterwitz geht anders.“ Wie unterscheiden sich seine beiden Heimaten sonst noch? Den Berliner plage von Kind auf das protestantische Gewissen, das kenne der katholische Kölsche nicht, philosophiert Priess, der den untergründigen Kneipenkarneval jeder Prunksitzung vorzieht.

Eine Ahnung von Ersterem gibt es am Tag nach der von Comedian Guido Cantz moderierten Kölschen Nacht im Kreuzberger Yorckschlösschen. Da geben einige der Bläck Fööss ein Kneipenkonzert. Leider nur für geladene Heimatvertriebene und Berliner Freunde, alle anderen Jecken müssen in die Max-Schmeling-Halle. Da wird es im rheinischen Freudentaumel ohne Kölle-Alaaf-Geschrei nicht abgehen, doch wie singen die Bläck Fööss: „Minsche, die jän löstich sin, die sin noch lang nit blöd.“

Max-Schmeling-Halle, Sonnabend 19.30 Uhr, 44 Euro

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