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Zwischen den Zeiten. Astrid (Christiane Paul) in Florian Koerner von Gustorfs Verfilmung von „Was gewesen wäre“.

© Flare Film/ Reinhold Vorschneider

Romanverfilmung „Was gewesen wäre“: Mit der verflossenen Liebe kehrt die Zeit vor der Wende zurück

In seinem Regiedebüt „Was gewesen wäre“ spult Florian Koerner von Gustorf die Zeit in Gedanken zurück. Dabei fließt die Gegenwart nahtlos in die Vergangenheit.

„Dass du noch frei rumgelaufen bist, Paul Schneider. Oder zumindest, dass du noch frei warst, als du bei mir auf dem Tisch gelandet bist!“ Astrid (Christiane Paul) sitzt auf dem durchwühlten Bett im Géllert-Hotel, gerade hat ihr neuer Lover (Ronald Zehrfeld), mit dem sie in Budapest einen Honeymoon zum besseren Kennenlernen verbringt, ein Liebesmahl aufs Zimmer geordert.

Erst zwei Monate sind sie zusammen, und noch liegt der Zauber der ersten Zeit zwischen der Kardiologin und ihrem ehemaligen Herz-Patienten. Beide sind Ende Vierzig und können ihr junges Glück kaum fassen. Bis ihnen Astrids Jugendliebe in die Quere kommt. Plötzlich steht Julius (Sebastian Hülk) vor ihnen. Aus einem kurzen Flashback wissen wir: Astrid hatte mal was mit ihm. Auch in Budapest, vielleicht sogar im Géllert-Hotel. Erinnerungen kommen hoch, zwischen den Frischverliebten beginnt es zu knirschen.

„Was gewesen wäre“ – mit diesen Worten lässt sich die Zeit noch einmal in Gedanken zurückspulen. Was hätte anders laufen können? Da ist die Tür, die man nicht aufgemacht hat, der Mensch, den man im letzten Moment nicht sehen wollte.

Florian Koerner von Gustorf, bekannt als Produzent von Christian Petzold, Angela Schanelec und Thomas Arslan, hat für sein Regiedebüt Gregor Sanders gleichnamigen Roman verfilmt. Das Drehbuch hat der Autor selbst verfasst. In den Erinnerungen von Astrid verwebt sich die private mit der politischen Geschichte, im Film wie im Roman, und mit der verflossenen Liebe kehrt auch die Zeit vor der Wende zurück.

Koerner von Gustorf hat von Petzold gelernt

Julius und Astrid kommen beide aus dem Osten, kennengelernt haben sie sich auf einem Konzert in Neubrandenburg, in einer Kommune von Künstlern, die in der DDR Ausstellungsverbot hatten. Auf dem Konzert finden sich die Systemkritiker zusammen. Später soll Astrids Freundin aus der FDJ ausgeschlossen werden – die Familie hat einen Ausreiseantrag gestellt. Und Astrid stimmt zu. All das erzählt sie Paul, während sie im Hotelzimmer und auf den Erkundungstouren durch die Stadt um ihre Beziehung ringen.

Reinhold Vorschneiders Kamera fängt diese Deutschstunde ein. In unterkühlten grün-grauen Bildern fließt die Gegenwart nahtlos in die Vergangenheit, wo die siebzehnjährige Astrid um die Liebe kämpft. Genau wie jetzt wieder, in der Gegenwart. Die Zeitebenen in Fluss zu bringen ist ein Grundmotiv der Filme von Petzold, nicht zufällig fühlt man sich an „Phoenix“ oder „Transit“ erinnert -, Wiedergängerfilmen, in der die Vergangenheit die Gegenwart berührt. In „Barbara“ spielt Ronald Zehrfeld einen Arzt in der DDR, der Nina Hoss von der Flucht in den Westen abhält.

Koerner von Gustorf hat sichtlich von seinem Regisseur Petzold gelernt. Beim Wechseln zwischen den Zeitebenen verzichtet er auf eine bemühte Rückblendenästhetik, durch die Farbgebung oder Körnigkeit des Bildes, wie man sie im Kino zu oft sieht. Die Vergangenheit wirkt so unmittelbarer, etwa wenn die Teenager tanzen (die Musik ist von Max Müller, mit dem Koerner von Gustorf auch in der Band Mutter spielt), auch dank Mercedes Müller und Leonard Kunz in den Rollen der jungen Astrid und Julius.

Die Liebesgeschichte wiegt vor

Doch trotz der historischen Aufladung wirkt „Was gewesen wäre“ seltsam geschichtsentleert. Das Drehbuch holt aus dem Paar, das nicht zusammengefunden hat, weil der eine in den Westen wollte, die andere aber im Osten bleiben, vor allem das melodramatische Potential heraus.

„Was gewesen wäre“ – das ist die Liebesgeschichte, nicht die aus politischen Gründen verpasste Biographie. „So ist das mit den Frauen, mal sind sie da, mal sind sie weg“, resümiert sich das läppisch in den Dialogen. In der Erzählgegenwart geht es dann vor allem darum, ob Paul es aushält, dass Astrid ihre Jugendliebe wieder getroffen hat.

Auch das scheinbar politische Ende mit Diskussionen über den ungarischen Staatspräsidenten Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei kann diesen banalen Liebesreigen nicht retten. Astrid, Paul und Julius reisen gemeinsam an den befestigten Zaun an der Grenze zu Serbien. Genau hier ist Julius damals die Flucht in den Westen gelungen, jetzt stehen sie an der unüberwindbaren EU-Außengrenze. Eine sarkastische Volte der Geschichte. Der Film reduziert sie jedoch zur Kulisse für ein Happy End. Was gewesen wäre. Das ist zu guter Letzt weniger ein Gedanken- als ein Nullsummenspiel, wenn sich die Verhältnisse verfestigt haben.

Dunja Bialas

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