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Das deutsche Cover.

© Hoffmann und Canmpe

Susan Sontag im Interview: Schreiben in Samt und Würden

Susan Sontags Interview mit dem „Rolling Stone“.

Von Gregor Dotzauer

Viele Wege führen zu Susan Sontag. Doch von welcher Seite nähert man sich ihr am besten? Überzieht die 1966 in „Against Interpretation“ (Kunst und Antikunst) erschienenen Essays, die ihren intellektuellen Ruhm schlagartig über die Kreise der „Partisan Review“ und der „New York Review of Books“ hinaustrugen, nicht schon eine Patina? Haben die Romane, vom „Liebhaber des Vulkans“ vielleicht abgesehen, nicht eher abschreckenden Charakter? Tragen die postum herausgegebenen privaten Tagebücher tatsächlich Wesentliches zum Verständnis ihrer Person bei?

Als Steve Wasserman beim Berliner Symposion „Susan Sontag Revisited“ zum zehnten Todestag seiner langjährigen Freundin jüngst gefragt wurde, was er Novizen empfehle, nannte er Jonathan Cotts 12-stündiges Interview für den amerikanischen „Rolling Stone“, von dem im Oktober 1979 nur ein Drittel gedruckt worden war. Seine Antwort war nicht ganz uneigennützig. Denn er hatte als Editor-at-large der Yale University Press dazu beigetragen, dem in seiner Gänze schon verloren geglaubten Dokument eine neue Öffentlichkeit zu verschaffen. Anhand der deutschen Ausgabe kann man nun aber auch hierzulande überprüfen, wie recht er hat.

„The Doors und Dostojewski“ öffnet Türen zu fast allen Kammern ihres Werks – und zu jener Doppelstrategie aus total immersion der Person und deren gleichzeitiger Selbstdurchstreichung, die auch zu „Krankheit als Metapher“, einem ihrer besten Texte, geführt hat. Mit Sontags (erster) Krebserkrankung setzt das Gespräch ein und bewegt sich anschließend entlang von Essays wie „Über Fotografie“ anschließend durch einen ganzen Parcours von Lebensthemen, zu denen sie sich in der ihr eigenen Präzision und Ausführlichkeit äußert. Unter Hinweis auf halb vergessene Erzähler wie Laura Riding und Paul Goodman spricht sie von der Ausbildung ihrer literarischen Leidenschaften und dem physischen Kraftaufwand des Schreibens, der Muskelverspannungen, Kopfschmerzen und Libidoverlust nach sich zieht: „Ich würde gern lernen, so zu schreiben, dass es weniger strapaziös für meinen Körper ist. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, ganz und gar entspannt zu schreiben. Nehmen Sie an, Sie würden einen Samtumhang tragen und sonst nichts!“

Der große Irrtum, den der deutsche Titel heraufbeschwört, liegt nur darin, dass er, Sontags Selbststilisierung folgend, ihr ein gleichgewichtiges Interesse für Pop- und Hochkultur nachsagt. Chuck Berrys Rock’n’Roll, den sie wie alle erotischen Wunder bewunderte, hat ihr sicher geholfen, aus ihrer Ehe auszubrechen; auch wurde sie in jungen Jahren zweifellos selber zur Popikone. Letztlich lässt sich ihre hierarchische Idee künstlerischer Größe aber nicht mit Pop vereinbaren. In ihrem enzyklopädischen Drang war es ihr wohl vor allem ein Anliegen, auch massenkulturelle Phänomene zu umarmen – und das eben von oben herab.

Susan Sontag The Doors und Dostojewski. Das Rolling-Stone-Interview mit Jonathan Cott. Aus dem Englischen von Georg Deggerich. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014. 159 S., 18 €.

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