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Vilhelm Hammershøi’, „Woman before a Mirror“ von 1906

© Galerie Hauser & Wirth

Sein schönstes Grau: Die Wiederentdeckung des Vilhelm Hammershøi

Die Bilder des dänischen Malers ziehen einen auch nach 100 Jahren in ihren Bann. Die Großgalerie Hauser & Wirth eröffnet mit ihnen eine nächste Dependance in Basel.

Von Alexandra Wach

Sie hat den Status einer Kunststadt, die sich vor allem während der Messewoche im Juni zum Zentrum des internationalen Kunstgeschehens wandelt. Dennoch verfügt Basel nach wie vor über eine kleine Galerieszene, auch wenn immer wieder neue, prominente Zuzügler Schlagzeilen machen.

2023 verschlug es etwa die Berliner Galerie Contemporary Fine Arts (CFA) mit einem Ableger ans Rheinknie. 2019 hatte bereits die US-Megagalerie Gagosian eine winzige Filiale eröffnet, nur einen Steinwurf vom Hotel Les Trois Rois entfernt, wo die reichsten Großsammler während der Art Basel übernachten.

Neben der Messe reist diese Klientel auch wegen der Ausstellungen in Institutionen wie dem Kunstmuseum und der Fondation Beyeler an. Und dann gibt es noch die lokalen Sammler, deren Kennerschaft und solide Kaufkraft nicht zu unterschätzen ist, weshalb der jüngste Galerienzugang aufhorchen lässt.

Die Galerie hat jetzt 21 Standorte weltweit

Seit Anfang Juni hat sich nun die 1992 in Zürich gegründete Großgalerie Hauser & Wirth dazugesellt. Es ist der sechste Standort des Unternehmens in der Schweiz und der 21 weltweit.

Statt auf die Suche nach einer neuen Location zu gehen, hat man die Haupträume der Galerie Knöll in der ehemaligen Seidenbandfabrik im Luftgässlein angemietet und den Gründer Carlo Knöll als Senior Director engagiert.

Die Galerie Knöll hat ihr Ausstellungsprogramm der klassischen Moderne zwar inzwischen eingestellt. Sie verwaltet aber weiterhin ihren eigenen Bestand und behält ihren zweiten Basler Raum im Erasmus-Haus an der Bäumleingasse 18. Der 36-jährige Carlo Knöll soll die Aktivitäten von Hauser & Wirth auf dem Sekundärmarkt verstärken.          

Die Schweizer Platzhirsche verbindet man mit zeitgenössischer Kunst und Künstlernachlässen des 20. Jahrhunderts. Mit der vom Kunsthistoriker und Generaldirektor des Museums Kunstpalast in Düsseldorf, Felix Krämer, kuratierten Eröffnungsausstellung „Silence“ des Malers Vilhelm Hammershøi leistet man sich jetzt aber einen Paukenschlag.

Es ist die erste von mehreren historischen Exkursionen, die stattfinden sollen.

„Die Eröffnung dieses Raums im kulturellen Herzen von Basel wird intime Begegnungen mit Kunst von außergewöhnlichem Kaliber ermöglichen“, sagt Galerist Iwan Wirth. „Seit wir 1992 unseren allerersten Raum in Zürich eröffneten, war es für uns ein Anliegen, einen Dialog zwischen Künstlern verschiedener Epochen zu schaffen. Hammershøi besaß eine kraftvoll vorausschauende Vision, und seine Kunst ist auch heute noch so lebendig und relevant wie zu der Zeit, als sie geschaffen wurde.“

Nur sechs Bilder stehen zum Verkauf

Namhafte Museen in den USA, Spanien, Holland und Dänemark planen demnächst Ausstellungen des lange kaum wahrgenommenen Malers. 16 Werke des Dänen aus dem 19. und 20. Jahrhundert aus Museen und Privatsammlungen zusammenzubringen, hat bisher auch noch keine kommerzielle Galerie gestemmt. Nur sechs von ihnen stehen in den zwei weißen Räumen zum Verkauf.

Der 1864 geborene Hammershøi hat den Großteil seiner Karriere in Kopenhagen verbracht. Bekannt ist er vor allem für seine Innenräume und Porträts, die sich an alten Meistern, insbesondere Vermeer, orientieren.                                                

Seine Raumszenen verströmen dank ihrer Leere und reduzierten Farbpalette von Blau- und Grautönen die Aura unheimlicher Stille, die Zeit scheint gefroren, genau in dem Moment, in dem das Licht für den Maler, der auf den Klein- und Mittelformaten oft denselben Raum festhielt, stimmig war. Veränderungen nahm er durchaus vor: Tische und Stühle wurden verschoben, Kerzenständer an einer anderen Stelle aufgestellt, Türen für jedes einzelne Gemälde geöffnet oder geschlossen.

Wie eine Marionette in einem stillen Drama

Die Menschen auf den Porträts scheinen wiederum mitten im Gedanken unterbrochen, allen voran Hammershøis Frau Ida, die er mit Vorliebe von hinten oder lesend malte. Sie erscheint mitunter wie eine Marionette in einem stillen Drama, das mehr als 30 Jahre dauerte.

Zu sehen ist auch eine Reihe früher Gemälde von Bauernhäusern und Stadtansichten von Kopenhagen und London sowie ein seltenes Selbstporträt des Malers mit dem Titel „Doppelporträt des Künstlers und seiner Frau, gesehen durch einen Spiegel. Das Spurveskjul-Häuschen“.

Die intimen Interieurs haben mit ihren absichtlichen Unvollkommenheiten der gemalten Objekte, einem wackeligen Fensterrahmen oder einer außermittigen Anordnung von Keramiktöpfen, ihre Fühler in die Zukunft gestreckt und die Stillleben eines Giorgio Morandi oder die einsamen Hausbewohner eines Edward Hopper vorweggenommen.

Zuletzt erzielten sie siebenstellige Preise. Christie’s konnte 2022 „Wohnzimmer. Innenraum mit ovalem Spiegel“ etwa für 6,3 Millionen Dollar versteigern. Für „Musikzimmer, Strandgade 30“ von 1907 hat das Art Institute of Chicago 2023 bei Sotheby’s in New York 9,1 Millionen Dollar gezahlt.

Düstere Vision, als Europa in den Weltkrieg schlitterte

Die Preise bei Hauser & Wirth liegen im sechs- und siebenstelligen Bereich, etwa für das öffentlich noch nie gezeigte Frühwerk „Interieur mit weißer Tür und gelbem Kleiderschrank“ von 1886, ein überaus modernes, fast abstraktes Werk, das an Gemälde von Mark Rothko erinnert. Das düsterste Gemälde „Morgentoilette“ wurde 1914 fertiggestellt, als Europa in den Ersten Weltkrieg schlitterte und Hammershøi die Diagnose Kehlkopfkrebs erhielt. Zwei Jahre später war er tot.

Der Schachzug von Hauser & Wirth, die Künstlerliste bis ins 20. Jahrhunderts auszudehnen, ist mit dieser exzellenten Schau aufgegangen. Mal sehen, ob sich dieser Coup noch übertreffen lässt.

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