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Blaues Wunder. Corinna Harfouch (r.) und Karin Lithman spielen „Persona“ unter der Regie von Anna Bergmann. Die DT-Produktion ist am 20. März, 20 Uhr, digital zu sehen.

© Arno Declair

Streamingangebote der Bühnen: Wann wird es endlich wieder gestern?

Die Pandemie hat Streamingangebote von Theatern zum Standard gemacht. Doch wo bleiben Rechte und Kosten.

Das Wunschszenario sieht so aus: Sobald die Pandemie erst einmal überwunden ist, kehren die Theater ruckzuck zu dem zurück, was sie am besten können und wofür sie gebaut wurden. Nämlich: Menschen auf die Bühne stellen und vor zahlendem Publikum spielen. Die Zeit, in der man sich mit Live-Stream-Premieren, on-demand-Angeboten und anderem digitalen Schnickschnack behelfen musste, wird dann hoffentlich schneller zur Anekdote verblasst sein, als man „Internet“ sagen kann.

Es ist noch nicht mal das Gros der Theaterleiterinnen und Theaterleiter, das so denkt. Republikweit haben die Häuser in Technik investiert, experimentieren mit den Möglichkeiten des Netzes, schicken dem Publikum Virtual-Reality-Brillen nach Hause – und vielerorts ist man willens, die gewonnenen Erfahrungen fürs postpandemische Theater fruchtbar zu machen.

Vereinbarung über Streamingangebote

Nur dort, wo die Strukturen dafür geschaffen werden müssen, scheint der Horizont enger zu sein. Und das zeigt exemplarisch die Vereinbarung, die zwischen dem Deutschen Bühnenverein und dem Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage (VDB) über die Vergütung der Streaming-Angebote getroffen wurde.

Sie stammt vom 9. Dezember 2020, aus einer Zeit also, als sich seit einigen Monaten abzuzeichnen begann, dass Deutschlands Krisenbewältigungsstrategie nicht so rasch die Rückkehr zum normalen Spielbetrieb zulassen dürfte. Geregelt wird darin das „Streaming gegen Entgelt“, für alle Fälle, in denen Verlagsrechte betroffen sind.

Die größte Auffälligkeit: die Häuser zahlen nicht nur die übliche Tantieme auf die Ticketerlöse (in der Regel 14 Prozent der sogenannten Roheinnahmen, bei Privattheatern 10 Prozent). Sondern sie zahlen obendrein auch dafür, die Aufführung überhaupt digital anbieten zu dürfen: „Für die ersten 30 Tage der Zugänglichmachung das 5-Fache des Betrags nach 13.1. RV Bühne“.

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Das scheint tief ins Vertragslatein zu führen, erweist sich aber als gar nicht so komplex. Die „Rahmenvereinbarung Bühne“ ist eine Absprache, die schon länger zwischen dem Bühnenverein und dem Verlegerverband besteht und die zuletzt 2019 aktualisiert wurde.

Damals war die Theaterwelt noch in Ordnung, die meisten dachten, Streaming sei entweder ein Nischen-Hobby oder ein reines Marketingtool. Entsprechend regelt die „RV Bühne“ auch nur, was die Häuser (die je nach Höhe ihrer künstlerischen Personalkosten in verschiedene Gruppen eingeteilt sind) für einen Stream zahlen müssen, den sie kostenlos anbieten. Entweder live oder für höchstens 48 Stunden.

Im ersten Monat werden 1500 Euro fällig

Die im Dezember 2020 verabredete Ergänzung sattelt darauf auf. Und versucht, die neuen Realitäten einzufangen. Also: Streaming gegen Geld. Und gern auch länger. Für ein Haus wie beispielsweise das Deutsche Theater bedeutet das konkret: im ersten Monat, in dem eine Aufführung gezeigt wird, werden 1500 Euro fällig, in jedem weiteren 1050 Euro.

Klar, das klingt erstmal nicht nach spektakulären Summen. Doch wie Michael Schröder – stellvertretender Geschäftsführender Direktor und Justiziar beim Deutschen Bühnenverein - zu bedenken gibt: „Wenn Live-Vorstellungen stattfinden und der Stream nur eine Ergänzung ist, ist das natürlich zu teuer“. Sollte es perspektivisch nicht aber genau darum gehen: das Beste aus beiden Welten zu ermöglichen, analog und digital?

Nicht viel erwirtschaften, aber viel zahlen

Die Regelung ist eine lose-lose-Situation. Mit den Online-Tickets, die in der Regel 5 Euro, selten 10 Euro oder mehr kosten, können die Theater keine gigantischen Einnahmen erwirtschaften, zahlen aber doppelt. Und die Verlage verdienen – Streaming-Aufschlag hin oder her – trotzdem viel weniger als in Zeiten des Normalbetriebs.

Was noch dazu kommt: die Vereinbarung unterscheidet nicht, wie oft eine Aufführung während der besagten „30 Tage“ angeboten wird. Maren Zindel, stellvertretende Leiterin des Rowohlt-Verlags und Vorsitzende der Bühnenkommission des VDB im Bereich Sprechtheater, bestätigt: „Ob ein Theater ein Mal gegen Entgelt streamt, oder die Aufführung dauerhaft on demand anbietet – die Grundkosten für den ersten Monat sind die gleichen“. Sie betont aber auch, man habe im Dezember schnell eine Lösung finden müssen, die „feuerwehrmäßig einen Rahmen setzt, um allen Beteiligten Handlungsspielraum zu ermöglichen“. Klingt nach Schnellschuss.

Autorinnen und Verlage sollen zu ihrem Recht kommen

Selbstverständlich sollen Autorinnen und Autoren zu ihrem Recht kommen. Ebenso wie Verlage. Es geht nicht darum, eine vermeintliche Umsonst-Kultur des Internets zu feiern, die auch Markus Dietze beargwöhnt, der Intendant des Theaters Koblenz und Vorsitzende des Ausschusses für Verleger- und Rundfunkfragen beim Deutschen Bühnenverein.

Der findet, die Urheberseite habe starke Argumente, mehr als nur Tantiemen fürs Streaming zu verlangen. Schließlich seien jetzt ganz neue Rechte betroffen: erstens durchs Abfilmen einer Aufführung, zweitens durchs Senden, also den Live-Stream, und drittens durchs Verfügbarmachen on demand.

Dietze, der für den Bühnenverein die Verhandlungen mit der Verlegerseite geführt hat, glaubt auch: „Das Streaming von aufgezeichneten Aufführungen kann nicht das sein, was die Theater langfristig rettet, oder neue Zuschauerinnen und Zuschauer erschließt.“ Das ist allerdings auch gar nicht der Punkt.

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Was durch die Streaming-Regelung jedenfalls wirksam erschwert wird, das ist der Aufbau eines digitalen Archivs mit abgespielten Stücken. Und eines aktuellen digitalen Repertoires. Für jedes Stück über 1000 Euro im Monat – das wird dann doch ein Faktor. Schade, wo doch stets die Flüchtigkeit des Mediums Theaters beklagt wird. Und könnten solche Online-Archiv-Angebote nicht mehr Teilhabe ermöglichen? Zugänge schaffen?

Das sieht im Prinzip auch Ulrich Khuon so, der Intendant des Deutschen Theaters. Ihm fallen allerdings drei Gegenargumente ein: Erstens sei die Qualität der Aufzeichnungen doch sehr unterschiedlich. Zweitens müssten die Rechtefragen in höchst aufwendiger Weise geklärt werden (sprich: Einzelverträge mit jeder und jedem Beteiligten). Und schließlich sei das Management so großer Datenmengen ein Problem.

Wieso schafft es das Fernsehen, die Recht zu verhandeln?

Alles gut und schön. Wobei man sich schon fragt: wieso schafft es 3-Sat, solche Rechte vollumfänglich zu verhandeln, wie hat das früher der ZDF-Theaterkanal hinbekommen? Und bislang scheint auch das Datenmanagement des neuen „DT Digital“-Kanals reibungslos zu funktionieren.

Vielleicht ist der Punkt ja generell, dass man im Digitalen den Mehrwert sehen müsste, statt nur die Kosten und Hindernisse. Ein Thema, das in der Corona-Krise ja auf so mancher Ebene akut wird.

Vorerst gilt die Vereinbarung zwischen Bühnenverein und Verlegern nur bis zum Ende der Saison. Danach, so Maren Zindel, werde man sich erneut zusammensetzen. Und schauen: „Brauchen wir das in dieser Form noch? Wird es Streaming gegen Entgelt noch geben, wenn die Pandemie vorbei ist?“

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