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Digital aquarelliert. In "Aporia“, einer Arbeit von Patricia Detmering, entscheiden völlig identisch aussehende Wesen, ob man dazugehört oder nicht.

© Patricia Detmering/Haus am Lützowplatz

Virtuelle Kunst in Berlin: Lasst Erdbeeren platzen

Die Datenbrille auf und rein in die digitale Kunst: Die Ausstellung „Resonanz der Realitäten“ im Haus am Lützowplatz kombiniert Rauminstallationen mit Virtual-Reality-Arbeiten.

Klinisch schön ist es im Universum von Evelyn Bencicova. Böden und Wände glänzen in sanftem Pastell, die Musik klingt sphärisch. Die einzige Gestalt erscheint im Dress einer Krankenschwester: halblanger Kittel, helle Socken, weiße Birkenstock-Sandalen.

Das trug sie auch schon vergangenes Jahr, als die junge, aus der Slowakei stammende Künstlerin im Rahmen des Wettbewerbs „Berlin Masters“ ihre zutiefst artifizielle Fotografie ausstellte.

Nun hat sie die Bilder in eine Virtual Reality-Arbeit eingespeist: Man steht nicht länger vor dem Motiv, sondern betritt es mithilfe einer VR-Brille, wird selbst von allen Seiten fotografiert, vom weißen Blitzlicht geblendet und landet schließlich an surrealen Orten, wo sich die Figur unendlich oft vervielfacht.

„Artificial Tears“ ist perfekte Simulation und trotzdem ein nachdenkliches Stück über den Identitätsverlust im digitalen Raum. Dass Audio-Stimmen meist weiblich klingen, hat Bencicova auf die Idee gebracht, einen passenden Körper zu kreieren, einen Guide durch die cleane Datenwelt.

Ihr Beitrag ist einer von fünf VR-Stationen im Haus am Lützowplatz (HAL). Für jede braucht man eine Datenbrille, damit sich die Werke der Künstler:innen entfalten können. Gleichzeitig gibt es fünf mehr oder weniger aufwändige Installationen als Teil jeder Arbeit im realen Raum.

Die Ausstellung funktioniert tatsächlich immersiv

Beides zusammen zeigt, wohin die künstlerische Entwicklung des Themas geht: Sie verwebt die Räume miteinander. Im Gegensatz zum rein digitalen Erleben von Ausstellungen, das sich in Corona-Zeiten vielfach an die Stelle physischer Ereignisse gesetzt hat.

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Die Ausstellung „Resonanz der Realitäten“ funktioniert tatsächlich immersiv, allen Vorbehalten einem Wort zum Trotz, das in jüngerer Vergangenheit ziemlich strapaziert wurde. Wer im HAL das technische Equipment aufsetzt, der vergisst fast sofort die Umgebung zugunsten ziemlich spektakulärer Renderings.

Minimalistische Skulpturen verwandelt sich in Monumente

Armin Keplinger etwa übersetzt seine minimalistischen, aus schwarzen Stäben gebauten Skulpturen in Monumente, die man von unten wie vom Himmel herab anschauen kann. Gleichzeitig bewegen sich die mächtigen Arbeiten auf einen zu. Alles Perspektiven, so der gebürtige Österreicher, die real nur unter enormem Aufwand möglich wären.

Dabei kombiniert er die futuristischen Ansichten allerdings mit derart lauten, metallischen Tönen, dass sich das Ganze mitunter wie eine Sequenz aus „Star Wars“ anfühlt. Patricia Detmering geht da einen geradezu gegenteiligen Weg.

Ihr Arkadien mit Wal und Flamingos, üppiger Flora und wie am Horizont festgeklebten Wölkchen fußt auf Aquarellen der Künstlerin. Jedes Detail von „Aporia“ wurde gemalt, gescannt und in 3D überführt. Gleichzeitig konstruiert Detmering ihre Arbeit bewusst imperfekt und illusionär wie eine Märchenwelt.

Der Mensch wird zum Relikt

Das Setting dagegen ist ernst, man selbst ein Fremder zwischen den leicht transparenten, nahezu identischen Figuren, die sich einem immer mal wieder nähern, am Ende aber doch rote Barrieren erreichten. Der Mensch, Relikt aus einer anderen Welt, gehört hier nicht hin.

Bei Banz & Bowinkel hat er immerhin noch eine dienende Funktion. Das Künstlerduo, das schon länger mit den Möglichkeiten des Virtuellen experimentiert, erschafft mit „Poly Mesh“ eine spektakuläre Szenerie. Wie ein Gamer spielt sich der Besucher durch verschiedene, aufwändig gestaltete Level, lässt riesige Erdbeeren platzen und freut sich über so gewonnen "coins" als Spielgeld.

Anonyme Datenfänger erscheinen als blaue Figuren

Die blau schillernden Figuren, die sich um ihn herum bewegen und ihre Köpfe hinter Masken verbergen, nimmt er zwar wahr, kann sie aber nicht einordnen. Dabei symbolisieren die Gestalten anonyme Datenfänger – Bots, die ihre Aufgabe ebenso diskret wie autonom erledigen.

Lauren Moffatt, die fünfte Teilnehmerin, ermöglicht einem in ihrer Arbeit ansatzweise den Wechsel in den Kopf einer anderen Person. Eine Vision, die technisch noch am Anfang, weil hochkomplex sei, aber doch einiges über das Medium und sein Potenzial vermittelt.

[Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 6. Juni, bei Einhaltung der gültigen Corona-Maßnahmen von 11–18 Uhr mit einem vorab digital gebuchten Zeitfenster.]

Die Ausstellung „Resonanz der Realitäten“ folge ohnehin nicht dem Gesetz der Perfektion, erklärt Kuratorin Tina Sauerländer. Im Fokus der Auswahl, die sie aus über hundert eingereichten Arbeiten treffen musste, stünden viel mehr der Umgang und die Umsetzung eines Themas, das die Künstler:innen umtreibt.

Schaulaufen für den VR-Kunstpreis

Über die Qualität entscheidet schließlich noch eine Jury: Der Parcours ist gleichzeitig Schaulauf für den ersten VR-Kunstpreis, den die Deutsche Kreditbank zusammen mit CAA Berlin vergibt, einer privaten Plattform zur Förderung zeitgenössischer Kunst.

Zur Halbzeit der Ausstellung werden die drei Gewinner des mit 12 000 Euro dotierten Preises bekannt gemacht. Eine Zahl, die irritiert: Drei Preise bei fünf Teilnehmern? Vor allem aber möchte man die Entscheidung selbst nicht treffen. Viel zu verschieden sind die Positionen – und jede ist in ihrer individuellen Umsetzung gelungen.

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