zum Hauptinhalt
Vladimir Jurowski, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters

© Kai Bienert / RSB

Weihnachtskonzert des RSB: Was für eine Festmusik

Riesenbesetzung und selten aufgeführte Werke: Vladimir Jurowski und das RSB haben in der Philharmonie ein opulentes Weihnachtskonzert angerichtet.

Was, wenn man alle Weihnachtslieder übereinander schichtete? Wenn an Heiligabend überall in Europa die Hausdächer wegflögen und sich alles, was gerade singt und klingt, zum munteren Potpourri vereint, im Bund mit den himmlischen Heerscharen? Was für eine Festmusik. Arthur Honegger hat sie komponiert, in seiner „Cantate de Noël“ von 1953, dem letzten Werk vor seinem Tod.

Die Trompeten des Rundfunk-Sinfonierchesters schmettern „Stille Nacht“, die Holzbläser verlegen sich auf „Eia“ und „Susani“, die Knaben des Staats- und Domchors funken mit der ersten Zeile von „Wachet auf“ dazwischen und nehmen sich Zeit für sämtliche Verse von „Es ist ein Ros’ entsprungen“, während die Berliner Singakademie auf Französisch nach Emmanuel ruft und ein lateinisches „Gloria“ beisteuert. Die Orgel dröhnt, der Bariton (Christopher Purves, zunächst etwas näselnd ) vertreibt die Furcht. Zu gerne möchte man mit einstimmen in dieses rauschhafte Durcheinander. Wobei Honegger sich über die feiernde Welt keine Illusionen macht. Seine Kantate beginnt in höllisch tiefen Registern (und endet auch da), mit einem schweren Leidensgang, der in Kakophonie mündet. Krieg auf Erden, Schrei nach Frieden, das ist der Urgrund des Weihnachts-Medleys.

Im Zentrum steht Bachs Adventskantate „Christen, ätzet diesen Tag“

Vladimir Jurowski und das RSB haben in der Philharmonie ein opulentes Weihnachtskonzert angerichtet, mit Riesenbesetzung und selten aufgeführten Werken, abseits von „Messias“ und „Weihnachtsoratorium“. Der RSB-Chefdirigent hat es so angekündigt: ein Themenabend, so soll es alle Jahre wieder sein. Den diesmal versammelten Kompositionen ist gemeinsam, dass sie die rüde Realität nicht leugnen und das utopische Moment des Christfests betonen.

Im Zentrum steht Bachs Adventskantate „Christen, ätzet diesen Tag“, mit der ungewöhnlichen Besetzung von vier Trompeten und Pauke in den Ecksätzen.  Die Musik legt sich ein Festgewand an, wobei das von überschwänglicher Freude geprägte Werk fast Züge eines Triumphmarschs trägt. Wären da nicht die besonders hurtig eilenden Hirten, die beschwingte Solo-Oboe von Clara Dent-Boganyi und das innige Duett des Tenors Jan Petryka mit Countertenor Andreas Scholl.

Eingebettet wird Bach in Werke des 20. Jahrhunderts. Alexander Zemlinsky windet melancholische Girlanden um das lautmalerische Naturidyll von Psalm 23  („Der Herr ist mein Hirte“). Nach krassen Turbulenzen und immer dichter gefügten Dissonanzen scheint die Pastorale noch einmal als Trostbild auf – die Singakademie müht sich und meistert am Ende das komplexe Werk.

Berührender Höhepunkt sind Weihnachtslieder von Witold Lutoswlaski

Arvo Pärt versucht es mit Minimalismus. Wieder zählt die Innigkeit: Andreas Scholl zelebriert nur ein, zwei Töne beim „Wallfahrtslied“, Pärt veredelt die letzten Reste barocker Affekte. Auch sein „Vaterunser“, ursprünglich eine Spontan-Komposition für Knabenstimme und Klavier, bleibt schlicht, unendlich behutsam.

Zum berührenden Höhepunkt vor Honeggers Vollkost-Kantate geraten jedoch die Weihnachtslieder von Witold Lutoswlaski aus dem Jahr 1946. Der noch junge polnische Komponist vertonte Volksweisen seines Landes, jene bäuerlichen Lieder, mal zart, mal frech, in denen die armen Leute dem frierenden Christkind Käse, Butter und die Lieblingspuppe bringen. Soviel Sozialrealismus muss sein. Der Berliner Mädchenchor intoniert die modalen Melodien mit glockenhellem Timbre, die Sopranistin Olga Pasichnyk wiegt das Neugeborene in den Schlaf, mit einhegend sanftem Vibrato. Jeder Ton eine Liebkosung. Manchmal braucht die entfesselte Welt solche Besänftigung, eine Atempause mitten im Unfrieden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false