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Giwi Margwelaschwili (links) mit Ekkehard Maaß.

© Ludwig Rauch

Zum Tod von Giwi Margwelaschwili: Grabrede eines Freundes

Am Freitag ist der deutsch-georgische Philosoph und Schriftsteller Giwi Margwelaschwili gestorben. Ein Berliner Freund erinnert sich an den großen Humanisten.

Giwi Margwelaschwili war mein allerbester Freund! Kennengelernt hatten wir uns 1983. Die Dichterin Elke Erb hatte mir für meine bevorstehende Georgienreise empfohlen, doch den dissidentischen Schriftsteller Giwi Margwelaschwili zu besuchen, der auf Deutsch schriebe!

Giwi empfing mich in seiner Wartburg am Washa-Pschawela-Prospekt mit Swing von Benny Goodman, ich sang ihm Lieder von Bulat Okudshawa und Wolf Biermann vor. Wir waren sofort ein Herz und eine Seele, vor allem in der Bewertung der sowjetischen Diktatur. 

Stromsperren, Rohrbrüche, KGB-Bewachung

Was eine „Wartburg“ ist, erfuhr ich sogleich bei der Lektüre von Giwis autobiografischem Roman „Kapitän Wakusch“: eine Behausung mit jedweder Art von Unzulänglichkeiten, wackligen Stühlen, Stromsperren, Rohrbrüchen, KGB-Bewachung usw., in der der „Wartbürger“ wartet, bis die Zustände in seiner Heimat eine Heimkehr ermöglichen.

Es ist unglaublich, dass Giwi in seiner 40-jährigen „Nachkriegsgefangenschaft“, wie er es selbst nennt, ein ca. 40 dicke Bücher umfassendes Oeuvre deutscher Literatur für die Schublade verfasste, d. h. ohne Chance auf eine Veröffentlichung und ohne Leser!

Ich besuchte nun Giwi jedes Jahr, las seine Texte und begann mich für die Rückkehr Giwis nach  Deutschland und die Veröffentlichung seiner Bücher einzusetzen. Nach einigen Besuchen in der Perestroikazeit, wo Giwi in meinem literarischen Salon der Künstlerszene vom Prenzlauer Berg begegnete, gelang das letztlich erst nach 1990.

Giwi wurde Stadtschreiber von Saarbrücken, erhielt Stipendien des DAAD und der Heinrich-Böll-Stiftung. Von 1991 bis 1994 erschienen von ihm sechs Bücher in vier renomierten Verlagen, weitere Veröffentlichungen folgten in Zeitschriften, Sonderdrucken, Radiosendungen.

Er wollte den Hölderinturm in Tübingen sehen 

Ich chauffierte Giwi auf Lesereisen durch ganz Deutschland, das waren für ihn glückliche Jahre! Wir besuchten das Thomas-Mann-Haus in Lübeck, das Rolandseck am Rhein, die Loreley, den Hölderlinturm in Tübingen und vor allem das Geburtshaus Martin Heideggers in Meßkirch!

Schließlich gelang es auch mit Unterstützung Wolf Biermanns und Armin Mueller-Stahls die nicht geringen sozialen Probleme zu überwinden und für Giwi eine Aufenthaltserlaubnis für Berlin durchzusetzen.

Deutschland war Heimat für ihn

1994 wurde ihm endlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Bei einem Empfang des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog im Schloss Bellevue sagte Giwi: „Wissen Sie, für meinen Vater war Deutschland das Exil. Er träumte sein ganzes Leben davon, nach Georgien, zurück kehren zu können. Für mich ist Deutschand Heimat!“

Giwi wohnte zuerst in meinem literarischen Salon, dann in einem eigenen für ihn ausgebauten Zimmer nebenan und zuletzt in einer eigenen Wohnung mit Blick auf Ost- und Westberlin, wo ich ihn fast täglich besuchte. Leider musste er aus gesundheitlichen Gründen 2011 nach Tbilissi zurück kehren.

Goethe-Medaille und Bundesverdienstkreuz

1995 erhielt Giwi für sein Gesamtwerk den Brandenburgischen Literatur – Ehrenpreis, 1997 den Förderungspreis für Literatur zum Kunstpreis der Stadt Berlin,  und 2002 den Gustav-Regler-Preis der Stadt Merzig.

Später folgten die Goethe-Medaille, das Bundesverdienstkreuz und der Italo-Svevo-Preis. Petra Tschörtner drehte 1997 den Film „Der Herr Giwi und die umgekehrte Emigration“ über einen Besuch Giwi Margwelaschwilis in Georgien, im selben Jahr schuf Irene Langemann im Auftrag der Deutschen Welle das Filmportrait „Zwischen hier und dort“. Seit 2007 erscheinen Giwis Bücher im Berliner Verbrecher Verlag.

Spielerische Auflehnung in seinen Büchern

Giwis  Literatur eröffnete mir einen völlig neuen Einblick in das Eigenleben der Buchpersonen und ihre textlich-thematische Determiniertheit, die durchaus Parallelen zu seinem persönlichen Schicksal hat. Seine Bücher sind eine spielerische Auflehnung gegen den tragischen Ontotext, in den er 1927 hineingeworfen wurde und den er durchlebte. Hätte er 1970 Heinrich Böll sein Manuskript anvertraut, wäre er neben Solshinizyn zu einem weltbekannten sowjetischen Dissidenten-Schriftsteller geworden.

Giwi Margwelaschwili ist ein Jahrhundertautor, dessen Ontotextologie und Werk Buchmärkte, Leser und die Literaturwissenschaft noch jahrhundertelang beschäftigen werden. Sein Tod ist der Übergang von einer Realperson in eine Buchperson, die ihre Auferstehung im Buchwelthimmel erleben wird.

Bei unserem letzten Gespräch per Skype, zwei Tage vor seinem Tod, sagte er mir: „Man kann, wie die meisten, privat sterben oder digital. Ich würde das letztere für mich in Anspruch nehmen wollen.“

Ekkehard Maaß

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