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Horst Kurnitzky (1938 – 2021) war ein freier Geist in der Welt.

© privat

Zum Tod von Horst Kurnitzky: Denker ohne Grenzen wie er sind selten geworden

Er war Chauffeur für Rudi Dutschke, Schüler von Klaus Heinrich und stellte im Centre Pompidou in Paris aus. Eine Erinnerung an Horst Kurnitzky.

In den letzten dreißig Jahren hat Horst Kurnitzky hauptsächlich in Mexiko gelebt. Er schrieb Bücher auf Spanisch, kaum eines ist übersetzt. Er gehörte in die Anfänge der Studentenbewegung. Damals begann die akademische Jugend, die Augen aufzumachen, neugierig auf die Welt; jung genug, um nicht nationalsozialistisch verstrickt zu sein und doch einer NS-Elterngeneration zu entstammen, mit und ohne Verstrickung.

Horst Kurnitzky war allergisch gegen den Biedersinn von Vereinen und Versammlungen, er wurde nie Mitglied einer der vielen politischen Gruppierungen, die im Laufe der Studentenbewegung und besonders als deren Ersatz aus dem Boden schossen. Männerzusammenkünfte meidend, war er immer in Begleitung einer Frau zu sehen.

Kurze Zeit spielte er den Chauffeur für Rudi Dutschke, seitdem war er und verstand sich als links. Sein zivilisatorisches Anliegen war Aufklärung, die er schon bei der kleinsten politischen Positionierung verraten sah.

Sich nirgends zu binden, war fast so etwas wie seine Lebensmaxime. Und je mehr die politische Entwicklung innerhalb der Linken zu Parteien führte, desto mehr entfernte er sich.

Bevor er sich dauerhaft mit der Kulturszene zusammentat, hat er sich kurzweilig in die Weltpolitik gemischt und auf Einladung der nordkoreanischen Regierung einen Monat dort verbracht. Das Verbindungsglied für diese Einladung war der Berliner Maoismus. Dass er nach der Rückkehr das System scharf kritisierte, trug ihm heftige Angriffe ein.

Ein Abstecher zu Adorno machte ihn zum Soziologen

Er ging bei den neuen kleinen Verlagen ein und aus, bei Wagenbach und Roter Stern und veröffentlichte erste Texte. Ein kurzer Abstecher nach Frankfurt zu Adorno machte ihn zum Soziologen, nachdem er zunächst das väterliche Handwerk gelernt hatte und Architekt geworden war. Zurück in Berlin, wurde er Schüler von Klaus Heinrich.

Für ihn wie für viele andere war Heinrich der Nabel der Welt. Im Bündnis mit der von Heinrich verkörperten philosophischen Haltung war man allen Konflikten gewachsen. Und es war Heinrichs Größe, dass es keine Konkurrenz unter den vielen Anhängern und Verehrern gab, keine Verpflichtungen. Schon an den gemeinsamen Geburtstagsfestschriften beteiligte sich Kurnitzky nicht, das wäre schon zu viel Gruppenaktivität gewesen.

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Zu seinen originellen Projekten gehörte das „Museum des Geldes“, wo er mit einer Vielzahl von Kultobjekten zeigt, wie das Geld aus Opferkulten hervorgeht, die mit der großen Muttergöttin verknüpft sind. Die Ausstellung wurde im Centre Pompidou in Paris sowie in der Düsseldorfer Kunsthalle gezeigt.

Religiöse Ursprünge profaner Lebensformen

Als Religionswissenschaftler, der in den profanen Lebensformen die religiösen Ursprünge aufsucht, hat er an einer Theorie der Weiblichkeit gearbeitet. Auch war es letztlich die Religionswissenschaft, die ihn nach Mexiko brachte, nachdem er sich infolge eines Auftrags der GTZ für die spanische Welt entschieden hatte. Das Ergebnis dieses ersten Aufenthalts in Lateinamerika war eine große Ausstellung der mexikanischen Wandmaler in der Neuen Nationalgalerie Berlin.

Außergewöhnlich war auch der „Heimat“-Film „Niemanns Zeit“, mit einem Gespräch zwischen Klaus Heinrich und dem Bergsteiger Reinhold Messmer. 1978 publizierte er „Ödipus. Ein Held der westlichen Welt“. 2002 erschien sein Buch „Die unzivilisierte Zivilisation. Wie die Gesellschaft ihre Zukunft verspielt“. Er konnte die abwegigsten Positionen, die sperrigsten Gedanken mit einer Würde ausstatten, dass man neugierig wurde, ihren tieferen Sinn zu ergründen.

Zwischen Kunst und Wissenschaft balancierend, hat er Erkenntnisse zutage gefördert, die in die Schubladen der arbeitsteiligen Fächer nicht passen. Horst Kurnitzky ist mit 82 Jahren in seiner Geburtsstadt Berlin gestorben. Wer passt jetzt auf, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät?

Sigrun Anselm

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