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„L’arbre rouge“, Paris 2022

© Fabrice Hyber/Adagp Paris 2022

Zurück in die Erde: Fabrice Hybert in der Pariser Fondation Cartier

In Frankreich ist der Künstler ein Star – auch weil er viel über Bäume, das Leben und unser Verhältnis zur Natur zu sagen hat.

Wenn Fabrice Hyber das Skelett aus seinem Atelier in der Fondation Cartier anschaut, wird sein Blick geradezu zärtlich. Dabei liegt es unter einer Schicht brauner Erde, ein wenig Grünzeug wächst heraus. Diverse Schläuche und Flaschen scheinen Flüssigkeiten zu transportieren. Zersetzen sich die Knochen und dienen als Dünger? Hyber, in Frankreich ein Star, der 1997 sein Land auf der Biennale von Venedig vertrat, verneint lächelnd: Vor Jahren hat er das Skelett nach einer Ausstellung blankgeputzt zurückbekommen und musste es erstmal wieder mit Humus ummanteln. Es ist also noch unversehrt – auch wenn im Kosmos des Künstlers alles Tote in die Erde zurückkehrt, damit neues Leben entsteht.

Hyber lässt Ackerland in der Vendée verwildern

Hyber kann sehr lebendig erzählen, live in der Ausstellung wie auf den 60 teils großen Leinwänden, die die private Institution präsentiert. In kleinteiligen Räumen, die mit ihren bunt lackierten Möbeln aus Stahlrohr an Schulklassen erinnern. Hyber doziert auch gern über Agri- und Monokultur. Für ihn sind sie das Ende jener vitalen Kreisläufe, von denen nicht zuletzt der Mensch profitiert. Beim Essen, Denken, Fühlen. Wer das nicht glaubt, der muss sich bloß die Gemälde ansehen, auf denen es wächst, blubbert und gedeiht.

Die Fondation wird das Gebäude bald verlassen

Der Künstler stammt aus einer Familie von Schafzüchtern, in den 1990er Jahren kaufte er jene 100 Hektar Land, die zum Gehöft La Serrie in der Vendée gehören. Seine Eltern waren dort Pächter. Als sie in Rente gingen, drohte industrielle Landwirtschaft auf jenem Flecken Erde, wo zuvor nie gedüngt oder Gift gespritzt wurde. Seitdem kultiviert der 61-jährige Künstler dort seinen halböffentlichen Urwald „La Vallée“.

„La Vallée“ heißt auch die Ausstellung. Hyber streitet nicht bloß in der Kunst für einen würdigen Umgang mit den Ressourcen Wald und Wasser, er lebt diesen Anspruch. Das macht ihn zu einem glaubwürdigen Charakter, der sein Publikum mitzureißen vermag. Als er in der Fondation, die das Gebäude von Jean Nouvel im 14. Arrondissement in naher Zeit Richtung Louvre verlassen wird, eine Führung für Freunde macht, schließen sich in jedem Raum mehr Besucher:innen an. Am Ende folgt ihm ein ganzer Pulk, um die Bilder von ihm selbst erklärt zu bekommen. Die Klassenzimmer – in denen während der Ausstellung tatsächlich unterrichtet wird – sind keine Marotte, sondern spiegeln Hybers Spaß an der Vermittlung von Wissen.

Manche seiner Gemälde wirken wie monumentale Notizen, die sich Hyber als lebender Hybrid zwischen Wissenschaftler und Künstler macht. Pinsel findet man in seinem Atelier nicht: Motive, Zahlen und Satzfetzen sind von Hand direkt auf die Leinwand aufgetragen. Das Wenigste davon erschließt sich unmittelbar, es wirkt vielmehr wie ein Fries, an dem sich wie im Fall von „Paysage biographique de Pierre Giquel“ (2017) der Einfluss von Sonne und Licht auf das Wohlbefinden sämtlicher lebender Organismen ablesen lässt. Zugleich vollzieht das sieben Meter lange Bild die Lebensstationen des 2018 verstorbenen Poeten und Kunstkritikers nach, der zu Hybers Freunden zählte.

Hyber flüstert im Chor der Pflanzen und Tiere mit

Frappierend ist nicht bloß die Leichtigkeit, mit der sich hier Leben und Tod begegnen. Es fasziniert ebenso, wie der Künstler komplexe Zusammenhänge anschaulich macht, ohne zu simplifizieren. „L’Arbre mental“ von 2019 zeigt einen Wald aus roten, gelben und blauen Bäumen, deren Wurzeln sich ebenso vielfältig verzweigen wie ihr Geäst. Sie kommunizierten miteinander, erklärt Hyber. Und man gewinnt den Eindruck, er flüstere im Chor der Pflanzen und Tiere mit.

Sein Narrativ ist das Evolutionäre. Vom Keimling über kleinste Organismen bis zum mächtigen Baum, der bei Hyber statt grüner Blätter blaue Kreise trägt, die wiederum für den von der Pflanze produzierten Sauerstoff steht: All das erscheint konkret in seiner Malerei. Dass er dennoch als konzeptueller Künstler gilt, hat mit der Unschärfe seines Sujets zu tun. Sie scheinen alles zu erklären, lösen sich dann aber auf, je näher man hinschaut. Am Ende sind sie doch imaginär.

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