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Meinung: Linke Rolle rückwärts

Das Kanzleramtspapier zeigt, wie tief die SPD gespalten ist

Zugegeben, ein Papier macht noch keine Strategie. Zumindest taktisches Geschick zeigt aber die Veröffentlichung des Kanzleramtspapiers. Die Verfasser, die ihre Vorschläge offenbar nicht mit der SPD-Führung abgesprochen hatten, wussten, was sie erwartet, hängten das Papier niedrig und nannten es: Diskussionsgrundlage.

Der Inhalt hat Sprengkraft genug. Er enthält all die Reizworte, die den Streit um Reformen anheizen: Wahlfreiheit und Bonusrabatte im Gesundheitssystem, Eigenverantwortung bei der Rente, Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe. Die Frontlinie, an der der Richtungskampf ausgefochten wird, ist mittlerweile deutlich sichtbar, sie verläuft quer durch die SPD und spaltet die Partei in Reformer und Traditionalisten. Laut protestieren gegen das Reformpapier wie im Pawlowschen Reflex die Gewerkschaften, die den Sozialabbau beklagen und vor sozialer Kälte warnen. Harsche Kritik kommt auch vom VdK, der in den Vorschlägen zu mehr Wahlfreiheit im Gesundheitswesen den Beginn der „Zwei-Klassen-Medizin“ sieht. Und der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Müller spricht angesichts der Vorschläge gar von einer „Rolle rückwärts“.

Das ist ein verwegener Blickwinkel. Er zeugt vom Selbstverständnis der „Linken“: Linkssein stand lange für Fortschritt, für Reformgeist und Gestaltungswillen. Und in der Tat setzten die Linken in den siebziger und achtziger Jahren wichtige Reformen um. Das Selbstverständnis ist geblieben, die Zeiten aber haben sich geändert. Aus den Parteilinken sind Strukturkonservative geworden, die sich mit Macht gegen Reformen sträuben. Ihr Anliegen ist berechtigt: Sie wollen die soziale Gerechtigkeit bewahren und verstehen sich als Anwälte der sozial Schwachen – nur, dass sie denen nicht immer einen Gefallen tun. Ohne die Senkung der Lohnnebenkosten wird es keine neuen Jobs geben. Ohne mehr Eigenbeteiligung bei der Altersvorsorge wird das Rentensystem kollabieren. Und auch die Krankenkassen sind ohne grundlegende Reformen – eine Staffelung der Leistungen und gezielte Einsparungen – nicht überlebensfähig.

Das sind Binsenwahrheiten, die alle längst wissen – auch eine Mehrheit der Wähler. Sie hat erkannt, dass das „Weiter so“ keine Lösung ist und die Regierung für ihr Hin und Her in den letzten Umfragen hart abgestraft. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, prognostiziert für das nächste Jahr: Entweder schlage die Regierung doch noch den Reformkurs nach dem britischen Vorbild „New Labour“ ein – oder sie werde nicht überleben. Vielleicht sollte der Kanzler, der zwischen Traditionalisten und Reformern schlingert, auf diese Stimme hören. Dann würde doch noch eine Strategie draus.

Simone von Stosch

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