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Diamantenbesetzter Totenkopf: Installationsansicht der Hirst-Retrospektive im Münchner Museum of Urban and Contemporary Art.

© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved, DACS/Artimage 2023.

Münchner Retrospektive von Damien Hirst: Juwelenschädel im Bunker

Der einstige Skandalkünstler Damien Hirst will in München mit einer Retrospektive punkten. Dafür musste ein Hai her und sein diamantenbesetzter Totenkopf – doch wirklich neu ist das nicht.

Sein neuestes Kunstwerk sieht man sogar aus der Ferne. Wer die Münchner Frauenkirche erklimmt, um von der Turmstube aus die Aussicht Richtung Alpen zu genießen, erblickt mitten in der Altstadt eine bunt gepunktete Hauswand. Ist das ein neues Kindergarten-Projekt mitten in der City? Werbung, Wand-Tattoo, Wohnungsbau? Erst wer den Hof des Museum of Urban and Contemporary Art betritt, löst das Rätsel.

Das „MUCA“ zeigt derzeit eine Retrospektive von Damien Hirst mit 40 Werken aus 40 Jahren. Darunter ist auch sein diamantenbesetzter Totenkopf „For the Love of God“ aus dem Jahr 2007. Der viele Millionen Euro teure Platinabguss eines menschlichen Schädels mit echten Zähnen und 8601 Diamanten glitzert im angrenzenden, ehemaligen Luftschutzbunker unter Lichtspots hinter Panzerglas. Nur vier Besucher gleichzeitig dürfen in den schwarz getünchten Raum.

Dem Privatmuseum zufolge ist es die erste Solo-Schau des einstigen Skandalkünstlers in Deutschland. Die Riesenpunkte auf der Wand des Umspannwerks neben dem Ausstellungshaus sind Kunst. Besser gesagt ist das Werk das erste Mural von Damien Hirst, mit 540 verschiedenfarbigen kreisrunden Tupfern auf 10.000 Quadratmetern sein bisher größtes Outdoor-Kunstwerk.

Wie viele seiner „Spot Paintings“ ließ der 58-jährige Brite auch dieses stereotype Punktebild von anderen anfertigen. Zwei Monate soll es gedauert haben, bis Helfer die 540 Punkte an die Hauswand gepinselt hatten. Den schönsten Blick darauf hat, wer im kleinen MUCA-Restaurant „Mural“ zu Abend isst.

Restaurant-Pleite

Kunst und Cuisine hat Hirst schon immer gerne verbunden. Im Jahr 1998 eröffnete er zusammen mit Partnern das von ihm gestaltete Restaurant „Pharmacy“ im Londoner Stadtteil Notting Hill. Als das Lokal 2003 pleite ging, schlug er daraus noch Kapital. Das Interieur ließ er 2004 bei Sotheby's für knapp 16 Millionen Euro gewinnbringend versteigern.

Geld hat der einst wilde Young-British-Artist aus der Arbeiterklasse mit seiner Kunst genug verdient. Die Marke Damien Hirst funktioniert selbst dann, wenn die Kunstkritik seine Werke verreißt. Seine lieblichen Kirschblüten, die er während des Lockdowns eigenhändig in knallrosa an der Grenze zum Kitsch in Öl auf Leinwand tupfte, rissen ihm Sammler aus den Händen. Hirsts Vermögen wird konservativ auf 350 Millionen Euro geschätzt. Je nachdem, wie man seine beachtliche Kunstsammlung, darunter Werke von Francis Bacon, Jeff Koons und Andy Warhol sowie seine Immobilien inklusive seines Londoner Privatmuseums bewertet, geht aber auch das Gerücht vom Milliardär Hirst um.

Eines seiner Markenzeichen: gemalte Kirschblüten.

© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved, DACS/Artimage 2023.

Mit Markenzeichen punkten

Gemalte Kirschblüten, ein Hai in Formaldehyd, rotierende Spin-Paintings, Schmetterlinge, Medikamentenschränke, Pillenbilder und Totenschädel: Mit vielen seiner Markenzeichen will Damien Hirst in seiner Mini-Retrospektive „The Weight of Things“ punkten. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut.

Während sein früher Mini-Hai in drei Teilen „Myth Explored, Explained, Exploded“ von 1993 nach wie vor fasziniert, hat man sich an den sieben Spin-Paintings, dem mit Glitter verzierten „Flower Arranging“ (1995) sowie den späten Punktebildern schnell satt gesehen. Seine Installation „When Logic Dies“ aus dem Jahr 1991 verstört dagegen heute noch: Man sieht ein Farbfoto mit der Nahaufnahme eines Kopfschusses, davor einen großen Tisch mit den nötigen Operationsutensilien, dieses Geschoss aus dem Schädel zu entfernen.

Fluppen und Pillen

Hirst und sein Studio haben die Schau selbst kuratiert. Museumsgründer und Kunstsammler Christian und Stefanie Utz ließen ihm dabei weitgehend freie Hand. Ein wenig aus der Zeit gefallen scheinen die Memento Mori des einst exzessiven Rauchers Hirst: der überdimensionale Aschenbecher „Forgotten Dead“ (1997) mit Kippen und Zigarettenpäckchen, das an Arman erinnernde kleine Kästchen voller Zigarettenstummel von 1993 oder der wandfüllende Medikamentenschrank „Dead Ends Again“ (1999) mit Fluppenresten.

Im Gedächtnis bleiben dagegen seine „Medicine Cabinets“ voller bunter Pillen, seine schwarzen Marmorköpfe mit SM-Fetischmasken „Penitent“ und „Sinner“ (beide 2011), Büßer und Sünder.

Herrlich naiv muten seine bewegte Installation „The Fragility of Love“ (2000) an, in der eine Windmaschine einen Wasserball über scharfen Messerspitzen in der Luft hält, und das mit Waschmittel gefüllte Regal „Bold“, in dem Hirst 2015 an die Haushalts-Skulpturen von Haim Steinbach oder Jeff Koons aus den frühen 1980er-Jahren erinnert.

Verloren wirken die Skulpturen „Recovering Mickey“ und „Bust of the Collector“ aus Hirsts fiktivem Meeresabenteuer „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“. 2017 füllte er mit den Trophäen aus einem angeblich versunkenen Schiff die Privatmuseen von François Pinault in Venedig, den Palazzo Grassi und die Punta della Dogana. In München sieht man nur das Foto eines Tauchers. Damien Hirst selbst hat sich bisher noch nicht im Museum blicken lassen. Er soll aber bald kommen, um seinen Diamantenschädel im Bunker zu sehen.

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