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Sonderausstellung zum Begriff "Jude" im Wandel der Zeit im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel

© Jüdisches Museum der Schweit

Debatte über den Begriff "Jude": Der Duden sollte nicht vor Schulhof-Rassisten kapitulieren

Der heutige Wörterbuch-Eintrag spiegelt den Wunsch der Bildungsbürger wider, kein missbrauchtes Wort zu nutzen. Warum das falsch ist. Ein Gastbeitrag.

Naomi Lubrich ist Direktorin des Jüdisches Museums der Schweiz in Basel. Dort beschäftigt sich die Sonderausstellung "Buchstäblich jüdisch. Eine Deutungsgeschichte" mit dem Begriff "Jude".

In den vergangenen Tagen kam es zum Streit zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Redaktion des «Duden». Es geht um den Eintrag «Jude» im Online-Wörterbuch, demzufolge das Wort gelegentlich «wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden» werde.

Der «Duden» empfiehlt, in diesen Situationen auf die Bezeichnung «jüdische Menschen» auszuweichen oder andere Varianten zu wählen, zum Beispiel «jüdische Mitbürger». Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, widersprach.

Sonderausstellung mit Dutzenden Definitionen

Wir zeigen die Definition aus dem «Duden» im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel seit 2021 in unserer Sonderausstellung «Buchstäblich jüdisch. Eine Deutungsgeschichte». Sie steht hier im Zusammenhang mit zwei Dutzend weiteren Definitionen aus vierhundert Jahren Lexikographie.

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Darunter sind mehrere abschätzige Einträge im Schweizerischen Idiotikon zum Wort «Jude» oder «Jud», beispielsweise für «Hase» oder für «eine im Kartenspiel verkehrt liegende Karte» (beide in der Ausgabe aus Zürich von 1891). Nach der Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste bezeichnet das Wort einen Affen (Leipzig 1847), und noch 2008 im Vorarlberger Mundartwörterbuch einen ungewollten «Farbtropfen, (wenn man zu viel Farbe aufgetragen)» hat (Graz und Feldkirch 2008). Das Damen Conversations Lexikon von 1836 meinte hingegen: «Die schönsten Jüdinnen findet man in Algier», während Herders Conversations-Lexikon 1855 behauptete, dass die Judenemanzipation «unmöglich gute Früchte haben kann, so lange die J.[uden] J.[uden] bleiben.» (Freiburg im Breisgau 1855).

Die Definitionen bilden jeweils den Diskurs ihrer Zeit ab

Wörterbücher stehen, was den Begriff «Jude» angeht, in einer langen Tradition des Unsinns. Sie bildeten jeweils den Diskurs ihrer Zeit ab. Der heutige «Duden»-Eintrag spiegelt den Wunsch der deutschen Bildungsbürger, kein Wort zu gebrauchen, das die Nationalsozialisten missbraucht haben. Er setzt sich mit der Realität des Schulhofantisemitismus auseinander, wo rassistische Beschimpfungen an der Tagesordnung sind. Und er meint offenbar, dass die Antisemiten die Deutungshoheit über das Wort «Jude» haben. 

Auch manche Jüdinnen und Juden hatten Vorbehalte gegen ihre eigene Bezeichnung, nicht erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert. Bereits vor zweihundert Jahren litten sie so sehr unter der Judenfeindschaft, dass neugegründete Gemeinden in der Schweiz und im süddeutschen Raum sich als «israelitisch» anstelle von «jüdisch» bezeichneten, darunter die Israelitische Gemeinde Basel und die Israelitische Cultusgemeinde in Zürich. Das Wort «israelitisch» sollte an das gemeinsame jüdisch-christliche biblische Altertum erinnern und die Religion feiern. Dabei begingen sie eine Begriffsflucht. Sie versuchten, ihre eigene Selbstbezeichnung abzulegen.

Aber das lässt sich ändern. Denn Wörterbücher haben einen wichtigen Einfluss. Als Autoritäten, die Begriffe definieren, können sie diese erklären, deuten und prägen. Der «Duden» sollte nicht vor Schulhof-Rassisten kapitulieren, sondern sich darauf konzentrieren, was Juden eigentlich sind. Einer Gruppe, die Religion, Kultur, Ethnie und Erfahrungsgemeinschaft zugleich ist, sollte auch der «Duden» ihren Namen zurückgeben.

Naomi Lubrich

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