zum Hauptinhalt
Der Stolz der Bundesregierung: die Höegh Esperanza in Wilhelmshaven.

© picture alliance/dpa / Sina Schuldt

„Ein Gipfel der Ignoranz“: Klimaschützer kritisieren LNG-Überkapazitäten

Am Wochenende wird das erste LNG-Terminal feierlich eröffnet, weitere sollen folgen. Doch selbst im Wirtschaftsministerium rechnet man wohl mit Überkapazitäten.

Die Hoffnung der Ampel-Regierung liegt bereits im einzigen Hochseehafen Deutschlands. Aus Sorge vor Protesten war die „Höegh Esperanza“ am Donnerstagnachmittag unter großem Polizeischutz in Wilhelmshaven angekommen und am neuen Flüssiggas-Terminal festgemacht worden. Auf das Spezialschiff und die neue Gasinfrastruktur ist die Bundesregierung mächtig stolz. Zur Inbetriebnahme an diesem Sonnabend werden neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) erwartet.

Nach einem harten ersten Krisenjahr soll die Eröffnung des ersten LNG-Terminals einen Wendepunkt der Ampel-Koalition markieren. In Rekordgeschwindigkeit ist es ihr gelungen, eine alternative Gas-Infrastruktur zu schaffen, die Deutschland weiter unabhängig von russischem Gas machen soll.

Anfang Mai hatte Habeck dem ersten Rammschlag in Wilhelmshaven beigewohnt, nur sieben Monate später können die ersten 165.000 Kubikmeter Flüssiggas, die die „Höegh Esperanza“ in Spanien aufgenommen hatte, in Deutschland regasifiziert und entladen werden. Allein die erste Schiffsladung entspricht dem Verbrauch von 50.000 bis 80.000 Haushalten pro Jahr. Ab Mitte Januar sollen dann regelmäßig LNG-Tanker aus aller Welt das Flüssiggas über die „Hoegh Esperanza“ ins deutsche Netz einspeisen können. Rund sechs Prozent des deutschen Gesamtbedarfs soll künftig über Wilhelmshaven gedeckt werden.

Mit den LNG-Terminals geraten unsere Klimaziele in Gefahr.

Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe befürchtet Überkapazitäten.

Doch nicht allen ist es zum Feiern zu Mute. Bei der Genehmigung für das Terminal seien Umwelt-, Klima- und Meeresschutz ignoriert worden, kritisiert Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe: „Das ist für uns ein Gipfel der Ignoranz.“ Die Behörden hätten bei der Planung Transparenz und Dialog gemieden, „wie der Teufel das Weihwasser“.

Die Klimaschützer fürchten, dass der Betrieb des Spezialschiffs dem Ökosystem des UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer schaden könne. Es habe dicke Umweltrabatte gegeben. Vor allem kritisieren sie die Bundesregierung aber dafür, dass die Anzahl der geplanten LNG-Terminals völlig überdimensioniert sei. „Mit den LNG-Terminals geraten unsere Klimaziele in Gefahr“, sagte Zerger bei einem Pressegespräch am Freitag.

Denn bei dem Terminal in Wilhelmshaven wird es nicht bleiben. Auf dem lange unrentablen LNG-Markt ist Goldgräberstimmung ausgebrochen. Neben der Bundesregierung, die sich fünf der begehrten FSRU-Schiffe gesichert hat, also Schiffe zur Speicherung und Rückvergasung, drängen auch private Investoren auf den Markt. Mit insgesamt zehn schwimmenden Terminals rechnet das Wirtschaftsministerium bis zum Winter 2023/24, wie aus einem vertraulichen Papier hervorgeht aus dem der Mediendienst „Table Media“ berichtet.

Demnach scheint auch das Bundeswirtschaftsministerium erkannt zu haben, dass man im Krisenmodus eventuell etwas über das Ziel hinausgeschossen sein könnte. Denn allein mit den schwimmenden Terminals schätzt das Habeck-Haus die neuen Gas-Kapazitäten ab dem kommenden Winter auf 53 bis 68 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Zum Vergleich: 2021 hatte Russland 54 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland geliefert.

Robert Habeck Anfang Mai beim Baubeginn des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven.

© Sina Schuldt/dpa

Doch seitdem ist der Gasverbrauch in Deutschland vor allem durch Industrieumstellungen gesunken, über die Niederlande und Norwegen erreicht Deutschland deutlich mehr Gas als vor dem Krieg in der Ukraine. Zudem plant die Regierung den Bau von drei festen LNG-Terminals bis 2026, die Kapazitäten für weitere 53 Milliarden Kubikmeter schaffen könnten.

„Das eine LNG-Terminal in Wilhelmshaven ist nicht das Problem – es ist die Masse“, sagt Niklas Höhne, Wissenschaftler und Mitgründer des „New Climate Institute“. Dort hat man zuletzt den Bedarf an LNG-Terminals für die Versorgungssicherheit untersucht. Demnach könnten schon drei schwimmende Terminals ausreichen, sagt Höhne. „In keinem Szenario brauchen wir die fest installierten LNG-Terminals.“ Er befürchtet, dass die fossile Infrastruktur, die Genehmigungen bis nach 2040 erhalten hat, dem Ausbau der Erneuerbaren im Weg stehen könnte. „Die LNG-Terminals stehen der Energiewende im Wege.“

Bei den LNG-Planungen gebe es einen gewissen Puffer, heißt es aus dem Ministerium. Tatsächlich wird wohl nicht jedes geplante LNG-Terminal in Betrieb gehen. Entsprechende Pläne in Hamburg seien aufgegeben worden, bestätigte eine Ministeriums-Sprecherin dem Tagesspiegel am Freitag. Auch in Lubmin gibt es wohl noch einige Standort-Fragen.

Hinzu kommen die enormen Kosten für die Bundesregierung. Zuletzt wurde bekannt, dass die Terminals mit 9,7 Milliarden Euro den Bundeshaushalt deutlich stärker belasten als die anfangs veranschlagten rund drei Milliarden Euro. Aus dem Haushaltsausschuss war schon zuvor Kritik laut geworden, weil das Wirtschaftsministerium noch immer kein Gesamtkonzept über den Bedarf an LNG-Terminals erarbeitet hat. „Kurzfristig ist die Gasversorgung zu sichern, aber wir müssen aufpassen, dabei keine fossilen Überkapazitäten für die Zukunft zu schaffen“, sagte Sven-Christian Kindler (Grüne) dem „Spiegel“.

Das Wirtschaftsministerium wies den Vorwurf der Überkapazität auf Tagesspiegel-Anfrage zurück: „Mit den jetzt fest eingeplanten schwimmenden Terminals nähern wir uns im nächsten Winter 23/24 den bisherigen russischen Gasmengen an, erreichen diese aber noch nicht“, sagte eine Sprecherin. Deutschland wolle zudem seinen Beitrag leisten, „um eine sichere Infrastrukturversorgung in Europa zu gewährleisten.“ Ob über Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Co. auch andere Staaten mit Gas versorgt werden, ließ die Sprecherin offen. Lieferverträge würden von den Unternehmen gemacht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false