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Eine Kommission soll die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs prüfen.

© PNN/Ottmar Winter

Kommission prüft Paragrafen 218: Sind Schwangerschaftsabbrüche bald straffrei?

Die Ampel erwägt, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, der Abtreibungen unter Strafe stellt. Zunächst soll nun eine Kommission darüber beraten.

„Wir haben abgetrieben!“ – mehr als 50 Jahre sind ins Land gegangen, seit dieser „Stern“-Titel in der gesamten Bundesrepublik für Furore sorgte. So ganz raus aus der Schmuddelecke hat es der Schwangerschaftsabbruch seitdem immer noch nicht geschafft – möglicherweise auch, weil er im Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs weiterhin unter Strafe gestellt wird, zumindest formal.

Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, heißt es dort. Nur innerhalb vorgegebener Fristen und unter Vorlage eines Beratungsscheins sind sie straffrei. In Deutschland haben im Jahr 2021 insgesamt 94.596 Frauen abgetrieben.

Die Ampel überlegt, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Sie wolle „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs“ prüfen, heißt es im Koalitionsvertrag.

Für diese Prüfung soll Ende März eine Kommission eingesetzt werden, die ein Jahr lang arbeiten wird. Die Mitglieder der Kommission stehen seit vergangener Woche fest. Berufen wurden 18 Experten und Expertinnen aus den Bereichen Medizin, Recht und Ethik. 

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Doch in der Ampel selbst ist die Streichung des Paragrafen umstritten, wenige Debatten werden so emotional und hitzig geführt wie diese. Das Strafrecht sei der denkbar ungeeignetste Ort, um Schwangerschaftsabbrüche zu regeln, positionierte sich Carmen Wegge, rechtspolitische Sprecherin der SPD deutlich.

Paragraf 218 StGB stigmatisiere und belaste Frauen, die sich für einen Abbruch entscheiden, psychisch schwer. „Das Strafrecht stellt in der Gesellschaft geächtetes Verhalten unter Strafe. Frauen haben aber ein Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung und das Recht, über ihren Körper selbst zu bestimmen“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Auch Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) hat sich festgelegt. Sie betonte vergangene Woche, es gehe dabei um das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung. „Wir sind der Meinung, dass es außerhalb des Strafrechts geregelt werden soll.“ Damit solle auch die Kriminalisierung aufhören.

Während sich SPD und Grüne klar für den straffreien Schwangerschaftsabbruch aussprechen, zeigt sich die FDP verhalten.

Der § 218 StGB stelle als Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Diskussion einen gelungenen Kompromiss im Hinblick auf den Lebensschutz des ungeborenen Kindes und das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren dar, sagte die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Katrin Helling-Plahr, dem Tagesspiegel. „Aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen stehe ich einem Aufkündigen des Kompromisses äußerst skeptisch gegenüber.“

94.596
Frauen in Deutschland haben im Jahr 2021 abgetrieben.

Zögerlich klingt auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). „Mir ist besonders wichtig, dass die Kommission unvoreingenommen arbeiten kann“, sagte er dem Tagesspiegel.

„Wir sollten daher nicht den Fehler begehen, der Kommission das Ergebnis vorzugeben oder vor Beendigung der Arbeiten mit rechtlichen Bewertungen vorzupreschen.“ Ergebnisse solle die Kommission möglichst nach einem Jahr vorlegen – und damit die Grundlage für eine parlamentarische Diskussion schaffen.

Wenn Ärzt:innen für diesen Eingriff fast ins Gefängnis gesteckt werden, wollen sie es natürlich nicht machen.

Kristina Hänel, Ärztin für Allgemeinmedizin

Die Ärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel führt in ihrer Praxis Abtreibungen durch und ist wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch nach § 219a Strafgesetzbuch angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Dass die Ampel den § 219a StGB inzwischen gekippt hat, genügt ihr nicht. „Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein ethisches Dilemma, das sich nicht lösen lässt. 

Der Eingriff gehört zur medizinischen Versorgung, ist aber gleichzeitig strafrechtlich verboten“, kritisierte Hänel die aktuelle Lösung im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wenn Ärzt:innen für diesen Eingriff fast ins Gefängnis gesteckt werden, wollen sie es natürlich nicht machen.“

1000
Euro kann ein Schwangerschaftsabbruch kosten.

Die medizinische Versorgung bundesweit reiche längst nicht aus. Hinzu komme, dass der Schwangerschaftsabbruch keine Kassenleistung sei, zwischen 300 und 1000 Euro müssten Frauen dafür bezahlen.

„Zwar gibt es eine Kostenübernahme durch die Länder für Bedürftige, aber die Beantragung muss noch vor dem Eingriff erfolgen, verlängert damit die Wartezeit und ist oft kompliziert. Wir haben täglich mit Frauen zu tun, denen wir bei dem Papierkram unter die Arme greifen müssen, weil sie sich dem nicht gewachsen sehen, das kostet richtig Zeit. Ich kann jede Praxis verstehen, die das nicht machen will.“

Die Strafbarkeit sei auch ein Grund dafür, dass die Abtreibung im Medizinstudium bislang an vielen Unis nicht behandelt werde. „Viele starten ins Berufsleben, ohne je mit diesem Eingriff konfrontiert gewesen zu sein.

Abtreibungsgegner bei einem „Marsch für das Leben“.

© picture alliance/dpa

Auch weil Professor:innen keinen Eingriff lehren wollen, der strafbewehrt ist.“ Hänel hofft auch, dass mit einer Streichung des Paragrafen eine bessere Handhabe gegen die Abtreibungsgegner:innen einherginge. „Wir werden tagtäglich bedroht und nicht wirklich geschützt.“

Rückendeckung bekommt Hänel von Pro Familia. Der § 218 StGB stigmatisiere Menschen, die einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vornehmen, und diejenigen, die ihnen das ermöglichten.

Die derzeitige gesetzliche Regelung laufe zudem Deutschlands internationalen Menschenrechtsverpflichtungen zuwider, heißt es von der Beratungsstelle auf Nachfrage. „Die Bundesregierung muss Maßnahmen für die Versorgungssicherheit zum Schwangerschaftsabbruch treffen und Menschen, die Schwangerschaftsberatungsstellen aufsuchen, vor Belästigung schützen.“

Den Paragrafen zugunsten der Selbstbestimmung der Frau zu streichen, klingt erst mal richtig und einleuchtend.

In der Umsetzung sei dieser Schritt aber alles andere als trivial, meint Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig.

„Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat bislang klare Worte gefunden und immer wieder klar gemacht, dass man auf das Strafrecht nicht verzichten kann. Die Welt und die Gesellschaft ändern sich zwar, aber pauschal zu fordern, die Abtreibung zu entkriminalisieren, wird der Komplexität der Sache nicht gerecht.“

Würde man den § 218 komplett streichen, dann wäre eine schwangere Frau auch nicht mehr gegen Angriffe Dritter geschützt.

Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig

Die Abschaffung würde den fein austarierten Ausgleich zwischen dem Recht der Frau und dem Recht des Ungeborenen auf Leben gefährlich ins Wanken bringen, sagte Hoven dem Tagesspiegel. Auch strafrechtlich sei eine komplette Streichung zu kurz gedacht, gerade zum Schutz der Frau. „Würde man den § 218 komplett streichen, dann wäre eine schwangere Frau auch nicht mehr gegen Angriffe Dritter geschützt.“

Das Dilemma ist alles andere als neu: Schon in der Weimarer Zeit gab es eine heftige Debatte um das Thema Abtreibung, linke Frauen aus der Arbeiterbewegung gingen gegen das Verbot vor. Später bekämpften die Nazis die Abtreibung, stellten sie unter Todesstrafe, wenn es um „hochwertiges“ Leben ging, nahmen sie aber selbst aus rassistischen Motiven vor oder um aus ihrer Sicht erbgesundheitlich „minderwertiges“ Leben zu verhindern.

„Bis Mitte der 70er Jahre war Abtreibung in der Bundesrepublik noch strafbar, selbst wenn die Frau durch eine Vergewaltigung schwanger geworden ist. Es gab bis dahin faktisch nur eine sehr eng begrenzte medizinische Indikation“, sagte Professor Michael Schwartz, Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin.

„Eine klare Fristenregelung ohne strafrechtliche Relevanz, also die Selbstbestimmung von Frauen über die Abtreibung bis zur zwölften Woche ihrer Schwangerschaften, hat es in der deutschen Geschichte bislang nur in der DDR ab 1972 gegeben. In den Beitrittsländern ist das sogar bis Mitte der 90er Jahre beibehalten worden.“

Eine Abschaffung des Paragrafen würde mit Sicherheit ethische und verfassungsrechtliche Folgedebatten auslösen.

Professor Michael Schwartz, Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin

Die bedingungslose Abschaffung des § 218 Strafgesetzbuch wäre insofern ein revolutionärer Schritt im Hinblick auf die vergangenen 150 Jahre, meint Schwartz. „Das würde mit Sicherheit ethische und verfassungsrechtliche Folgedebatten auslösen, denn in der Abtreibungsfrage ging es bisher um die Suche nach vertretbaren Kompromisslinien zwischen den Interessen der betroffenen Frauen und denen des werdenden Lebens, das ab einem bestimmten Zeitpunkt ebenfalls als Träger von Menschenrechten betrachtet worden ist.“

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