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Politik: Reformer ratlos

Einige SPD-Politiker wollen die Länderkammer neu organisieren – die Chancen stehen schlecht

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zuwanderungsgesetz sind Stimmen laut geworden, die Änderungen fordern – und zwar im Bundesrat. Mehrere Politiker von SPD und Grünen wollen eine Reform. Vielleicht auch angestachelt vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der mit der Meinung provoziert hat, die Union habe im Bundesrat eine „Kontrollmehrheit“. Dabei ist der Bundesrat nach der Verfassung kein Kontrollorgan der Regierung, sondern soll an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken – was sich mit Kochs parteipolitischer Interpretation des Zwecks etwas beißt. Die Union lehnt Reformen des Bundesrats ab. Die nötige Zweidrittelmehrheit zur Änderung der Verfassung ist somit nicht in Sicht. Aber auch das Verfassungsgericht hat mit seinem Urteil wenig Anlass gegeben, eine größere Reformdebatte über die Geschäftsordnung des Bundesrats zu beginnen.

Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Brigitte Zypries (beide SPD) hatten gefordert, jedes Land solle künftig einen „Stimmführer“ benennen, der dann sozusagen das letzte Wort im Bundesrat hat. In der Tat handhaben die Länder es gelegentlich so, dass ein Kabinettsmitglied bis in die Sitzung hinein offenhalten kann, wie es abstimmt. Das gibt die nötige Flexibilität, ungebunden von einer Kabinettsentscheidung auf Entwicklungen in letzter Minute zu reagieren. Doch der Stimmführerschaft im Sinne von Schily und Zypries hat Karlsruhe einen Riegel vorgeschoben. Ministerpräsidenten, so das Gericht, sind in der Länderkammer nicht herausgehoben, alle Mitglieder des Bundesrats sind gleichberechtigt, selbst wenn eine Landesverfassung eine Richtlinienkompetenz des Regierungschefs vorsieht. Denn der Bundesrat ist ein Organ des Bundes, Landesverfassungen haben dort keine Wirkung. Wohl aber ergibt das Karlsruher Urteil, dass Koalitionsverträge gelten. Denn die Richter haben entschieden, dass zwar nach der Verfassung ein Land nur einheitlich abstimmen kann, ansonsten sei die Stimmabgabe ungültig. Doch dürfe der Stimmabgabe eines Mitglieds jederzeit durch ein anderes Mitglied des Landes widersprochen werden. Üblicherweise sehen Koalitionsverträge bei einem Dissens die Enthaltung vor.

Genau diese Enthaltungen sind dem noch alleine regierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel (SPD) ein Dorn im Auge. Er hat vorgeschlagen, dass Länder, die sich enthielten, erst gar nicht mitgezählt werden. „Die bisher nötige absolute Mehrheit bei Bundesratsentscheidungen sollte zu Gunsten einer einfachen Mehrheit abgeschafft werden.“ Gabriels Ärger hat seinen Grund in der Abstimmungsweise des Bundesrats. Dort wird nämlich nur gefragt, wer einem Gesetz oder einer Vorlage zustimme. Alleine die Ja-Stimmen werden gezählt. Eine Enthaltung – die sich offen nur bei Länderaufruf zeigt, wenn die Stimmabgabe mündlich statt durch Handheben erfolgt – wirkt so im Bundesrat wie eine Nein-Stimme. Würden Enthaltungen gar nicht erst mitgezählt, käme wohl häufiger ein Gesetzentwurf durch – dem Zuwanderungsgesetz hätte Gabriels Vorschlag am 22. März aber nicht geholfen. Denn wären die sieben Stimmen der großen Koalitionen weggefallen, hätte sich ein Patt von je 31 Stimmen ergeben. Unklar ist, ob Gabriels Vorschlag die Verfassungshüter hinter sich hätte: Er läuft auf ein Stimmverbot hinaus.

Zudem ist der Bundesrat ein zähes Reformobjekt: Eine Änderung, seit Jahren angedacht und vorbereitet, wurde vorige Woche begraben. Der Bundesrat wird keine elektronische Abstimmungsanlage erhalten. Nach Tests ist man zu dem Schluss gekommen: Das Nachzählen der bei der Abstimmung erhobenenen Hände durch den jeweiligen Präsidenten braucht weniger Zeit als die elektronische Variante.

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