zum Hauptinhalt
Das Friedensdorf Neve Shalom.

© Kuenzig/Laif

Wahat al Salam – Neve Schalom: Eine Oase des Friedens im Nahen Osten

In einem israelischen Dorf zwischen Jerusalem und Tel Aviv leben jüdische und arabische Familien bewusst miteinander. Sie wollen den Nahost-Konflikt im Kleinen überwinden.

Die Viertklässler wollen an diesem Vormittag einfach nicht still sitzen. „Ruhe bitte“, ermahnt sie die Lehrerin. Die Aufregung ist groß, das erste Halbjahr ist zu Ende und alle Klassen der Grundschule im Dorf Wahat al Salam – Neve Schalom zeigen, was sie gelernt haben. Mehr als 200 Schüler sitzen auf der Wiese vor dem Schulgebäude. Musik dröhnt aus dem Lautsprecher auf Rädern, „Fi Enna Chajra“ singt eine Klasse, „vor unserem Haus steht ein Baum“ – ein arabisches Kinderlied. Danach folgt „Tiul Katan“, ein hebräisches Lied über einen Ausflug in die Natur.

Die Chance, als Freunde aufzuwachsen

Rund 60 Prozent der Kinder in dieser Grundschule sind arabisch, 40 Prozent jüdisch, sie sprechen Hebräisch und Arabisch. Neben den üblichen Fächern von Mathematik bis Sport lernen sie in vier zusätzlichen Unterrichtsstunden pro Woche über die drei Weltreligionen und die zwei Völker, Palästinenser und Israelis. Es geht um Werte und wo man Wissenswertes darüber in den heiligen Büchern findet. In diesem ersten Schulhalbjahr lautete das Leitthema: der Mensch und sein Land.

„Die Kinder haben die Chance, als Freunde aufzuwachsen“, sagt Rektorin Carmella Ferber. Das sei in Israel eher die Ausnahme, und so kämen viele der Schüler von außerhalb des Dorfes. Das Schulsystem sei generell weitgehend getrennt zwischen arabischen und jüdischen Israelis. „Dass wir hier jeden Tag zusammenkommen, scheint so normal und natürlich. Doch das ist es nicht.“

Gegründet wurde das Dorf 1970

Vieles ist anders in diesem Dorf. Auf Arabisch heißt es Wahat al Salam, auf Hebräisch Neve Schalom. Übersetzt bedeutet das Oase des Friedens. Gegründet 1970 liegt es auf einer Anhöhe zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Hier leben 33 jüdische und 33 arabische Familien mit-, nicht nebeneinander, wie in den meisten anderen gemischten Städten Israels, in Ramle, Akko, Haifa, Jaffa.

„Dort kamen irgendwann jüdische Einwanderer hinzu. Hier gibt es nur neue Bürger, alle kamen vorher aus anderen Dörfern oder Städten“, erklärt Samah Salaime, Direktorin des Kommunikations- und Entwicklungsbüros der Friedensoase, eine ruhige Frau mit rotbraunen, schulterlangen Haaren und strengem Blick.

Wer hier lebt, muss sich einbringen

Die Einwohner haben sich bewusst für dieses Zusammenleben entschieden – trotz der Geschichte, trotz der Kriege, trotz des noch immer andauernden Konfliktes und des Streits darüber, wem denn nun das Land gehört.

Für die Juden war die Staatsgründung Israels vor 70 Jahren die Erfüllung eines alten Traums: ein Heimatland für ein Volk, das jahrhundertelang in der Diaspora lebte, das diskriminiert, verfolgt und ermordet wurde. Ein Volk, das laut der Bibel schon vor 2000 Jahren auf diesem Flecken Erde gelebt hat. Für die Araber bedeutete die Staatsgründung hingegen eine Katastrophe, auf Arabisch nennen sie es bis heute die „Nakba“: Hunderttausende flohen aus ihren Dörfern oder wurden vertrieben.

Bis heute tun sich beide Seiten schwer damit, die Sicht des jeweils anderen anzuerkennen. Die Einwohner von Wahat al Salam – Neve Schalom versuchen dennoch, die tiefen Gräben zu überwinden. „Du kannst hier nicht einfach nur dein Häuschen bauen, dich zurückziehen. Wer hier Bürger ist, muss sich einbringen“, erklärt Samah Salaime.

Einig darüber, dass die Besatzung beendet werden muss

Entscheidungen werden in Versammlungen per Abstimmung gemeinsam getroffen. „Viele von außerhalb glauben, wir sind eine homogene Gruppe und denken gleich. Dabei sollten sie mal dabei sein, wenn wir uns zoffen“, sagt Salaime. Manche hier glaubten an die Zweistaatenlösung, andere an einen gemeinsamen Staat für Israelis und Palästinenser. „Einig sind wir uns darin, dass die Besatzung beendet werden sollte.“

Die Palästinenserin Samah Salaime ist – wie alle arabischen Bewohner des Dorfes – israelische Staatsbürgerin. Sie kommt aus einem Ort im Norden Israels. Bewohner aus dem Westjordanland oder Gaza können nicht aufgenommen werden. Salaime zog vor 17 Jahren mit ihrer Familie hierher. „Als unser erster Sohn geboren wurde, war meinem Partner und mir klar, dass er nicht dasselbe trennende Schulsystem wie wir durchlaufen soll, ohne seine Nachbarn zu kennen. Es ist offensichtlich, dass keiner von uns von hier weggehen wird, es ist unser Schicksal, gemeinsam zu leben.“

Als Botschafterinnen des Friedensdorfes unterwegs

Wie es ist, mit den „anderen“ aufzuwachsen, wissen Eden Zohar, 20, und Muna Boulos, 23. Eden ist jüdische Israelin und hat gerade den Pflichtdienst in der Armee beendet. Muna ist arabische Israelin und muss daher nicht dienen. Sie studiert englische Literatur an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheva. Beide waren sie im Frühjahr als Botschafterinnen des Friedensdorfes in Deutschland unterwegs, um vom Leben hier zu erzählen.

„Mir war früher nicht bewusst, wo ich lebe. Für mich war es einfach nur ein nettes, friedliches Dorf“, erzählt Muna. Auch Eden merkte erst in der Oberschule, die sie in Jerusalem besuchte, dass ihre Erfahrung nicht selbstverständlich ist. „Ich habe festgestellt, dass ich durch meine Bekanntschaften im Dorf, durch die Grundschule hier, die Sicht der Palästinenser kannte, die vielen anderen in der Klasse fremd war. Ich hatte Geschichten über Großeltern gehört, die ihre Häuser verlassen mussten. In der Oberschule haben wir davon aber nichts erfahren.“

Versucht wird, Unterschiede zu überwinden

Eden, Muna und die anderen im Friedensdorf haben keine Berührungsängste. Versuchen, die Sicht der anderen zu verstehen, Unterschiede zu überwinden. Was da in den jüngeren Generationen passieren kann, zeigt das Beispiel von Munas Cousin. „Seine Mutter ist Christin, sein Vater Muslim“, erzählt sie. „Und nun ist er mit einer Frau verheiratet, deren Mutter Jüdin und deren Vater Muslim ist.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false