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Was denken Neuberliner – etwa über Demokratie, Religion, Juden und Homosexuelle? Klar ist: Fast alle wollen sich hier integrieren. Diese syrischen Flüchtlinge, die vom Verein „Moabit hilft“ betreut werden, verfolgen gerade die Nachrichten aus ihrer alten Heimat auf einem Smartphone.

© Kay Nietfeld/dpa

Brandenburg: Auf dem Weg zur Integration

Erstmals hat eine Studie die Einstellung von Flüchtlingen zu Demokratie, Religion und Formen des Zusammenlebens erfasst. Die Ergebnisse sind vielschichtig

Rund 50 000 Menschen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak haben im vergangenen Jahr in Berlin Schutz gesucht. Nicht immer ist das Zusammenleben mit den Berlinern konfliktfrei. Ein Grund dafür sind gängige Ressentiments gegenüber vermeintlichen Werten und Vorstellungen von Flüchtlingen. Nun hat eine Studie der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Berlin (HMKW) erstmals Flüchtlinge über ihre Einstellungen zu Demokratie, Religion, Formen des Zusammenlebens und ihre Sicht auf Deutschland befragt. Am Montag nun hat der Kanzler der HMKW, Ronald Freytag, die Ergebnisse der von ihm betreuten Studie „Flüchtlinge 2016“ in Berlin präsentiert.

Die überwiegende Mehrheit aller Befragten bekennt sich klar zur Demokratie. Nur drei der insgesamt 445 Befragten lehnten die demokratische Staatsordnung ab. Doch über die Frage, was Demokratie beinhaltet, scheinen unterschiedliche Vorstellungen zu herrschen. So finden zwar 84 Prozent gut, dass auch Minderheiten ihre Ansichten unter dem Schutz der freien Meinungsäußerung formulieren dürfen, nur 38 Prozent finden es aber in Ordnung, sich zum Beispiel in Form von Satire über Politiker lustig zu machen.

Ein wahres Bekenntnis gibt es unter den Flüchtlingen zur Integration: 91,9 Prozent finden es sehr wichtig, Deutsch zu lernen, und haben ein großes Interesse an der hiesigen Kultur. Außerdem möchten die meisten ihr bisheriges Bildungsniveau verbessern, um eine gute Arbeit zu finden.

Auch bei der Religion werden keine gängigen Klischees bestätigt: 87 Prozent der Befragten sind für eine Trennung von Religion und Staat und finden, dass der Glaube Privatsache ist. Fast alle – nämlich 92 Prozent der Befragten – sind Muslime. Und obwohl es im Islam verboten ist, die Religion zu wechseln, findet deutlich über die Hälfte der Flüchtlinge, dass jeder Mensch seine Religion frei wählen können sollte.

Die Fratze des religiösen Fanatikers, die von rechten Parteien immer wieder gezeichnet wird, kann also durch die Studie nicht bestätigt werden: Die Mehrheit der Flüchtlinge denkt säkular. Auch der Gleichberechtigung von Mann und Frau stimmen 81 Prozent der Frauen und 77 Prozent der Männer „absolut zu“.

Die gesellschaftlichen Moralvorstellungen der Flüchtlinge sind jedoch deutlich konservativer, als es bei vielen Deutschen der Fall wäre. Fast die Hälfte der Teilnehmer sieht Sex vor der Ehe als Sünde an, die auch bestraft werden sollte. Unterschiedliche Formen des Zusammenlebens werden selektiv bewertet: Kinderreiche Familien hätten die Befragten sehr gerne als Nachbarn – gemischte Wohngemeinschaften, unverheiratete Paare, Homosexuelle oder auch Juden werden laut Studie aber weniger gerne gesehen.

Roger Berger, Professor für Soziologie der Universität Leipzig, ist von diesem Ergebnis wenig überrascht: „Selbstverständlich sind die Werte konservativer als die eines Linken aus Friedrichshain. Wieso sollten Menschen, die überwiegend aus konservativen Ländern stammen, diese plötzlich ablegen?“, sagt Berger.

Die Studie der HMKW ist die erste veröffentlichte Befragung von Flüchtlingen in Deutschland. Sie wurde von Juni bis August dieses Jahres in drei Flüchtlingsunterkünften des Deutschen Roten Kreuzes der Kreisverwaltung Müggelspree durchgeführt. Dabei wurden insgesamt 445 quantitative Fragebögen ausgewertet – das heißt, es wurden keine offenen Fragen gestellt. Vaishnavi Upadrasta, eine der Studierenden, die die Studie im Rahmen ihres Masterstudiums durchgeführt hat, wollte durch eine quantitative Umfrage weg von Einzelschicksalen, wie man sie oft in den Medien lesen könne, und stattdessen Erkenntnisse über die Allgemeinheit erhalten.

Generelle Aussagen über Flüchtlinge in Deutschland jedoch können aus der Umfrage kaum abgeleitet werden. Eine Verzerrung des Ergebnisses kann durch viele Faktoren entstehen. In diesem Fall war ein großer Teil der Befragten überdurchschnittlich gebildet. Der Grund hierfür ist einfach: Analphabeten konnten beispielsweise nicht teilnehmen.

Mit dem höheren Bildungsgrad „kann auch eine Tendenz zu westlicheren Ansichten einhergehen“, so Berger. Dazu kommt noch ein weiterer verzerrender Faktor: Die Studie ist nur auf Arabisch, Farsi (Persisch) und Englisch durchgeführt worden. Kurden, Osteuropäer oder Flüchtlinge aus Afrika, die nicht eine dieser Sprachen sprechen, wurden nicht berücksichtigt. Helena Piontek

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