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Anschläge in Berlin: Eskalation zwischen Links und Rechts

UPDATE. Der Berliner Kreisvorsitzende der ultrarechten Partei Pro Deutschland, Torsten Meyer, wurde angegriffen. Anschließend brannten linke Wohnprojekte in Berlin, die alle auf einer rechtsradikalen Internetseite genau beschrieben und aufgelistet sind. Zuvor hatten Linksextreme schon Funktionäre der NPD gejagt und angegriffen

Drei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl eskaliert die Gewalt zwischen Links- und Rechtsextremisten sowie rechtskonservativen Kreisen. Nachdem am Samstag offenbar Linksextreme gezielt Jagd auf Funktionäre der rechtsextremen NPD gemacht hatten, stürmten gegen 14 Uhr am Sonntag etwa fünf "jüngere Personen", wie es bei der Polizei hieß, auf einen Informationsstand der rechtspopulistischen Partei Pro Deutschland am S-Bahnhof Karlshorst zu und beschimpften einen 54-Jährigen und seine Begleiter, unter anderem mit den Worten "Verpisst Euch!". Nach Tagesspiegel-Informationen soll es sich bei dem 54-Jährigen um den Kreisvorsitzenden und Mitglied der BVV Lichtenberg, Torsten Meyer, handeln.

Die Angreifer warfen anschließend mit Wasser gefüllte Luftballons auf den Mann.Während der Flucht in den S-Bahnhof Karlshorst schleuderte einer aus der Gruppe eine Glasflasche, die den 54-Jährigen laut Polizei am Bein traf und ihn dort verletzte. Nach Angaben der Polizei waren die Angreifer nicht vermummt. Die Ermittler gehen von einer politisch motivierten Tat aus. Der Staatsschutz ermittelt.

In der Nacht zu Montag folgten mehrere Brandanschläge auf linke Wohnprojekte und ein Jugendhaus der "Sozialistischen Jugend Deutschlands". Da in allen Fällen der Staatsschutz ermittelt, ist von politisch motivierten Taten auszugehen. Nach mehreren Überfällen auf NPD-Funktionäre in den vergangenen Tagen, hatten Rechtsextremisten am Sonnabend im Internet zu Vergeltungsaktionen aufgerufen. In einer Rundmail verwiesen sie auf eine selbst erstellte Liste mit linksalternativen Wohnprojekten und Gebäuden, die als "gutes Anschlagsziel" genannt werden. Vier dieser Objekte auf der Liste waren dann in der Nacht zu Montag von Brandstiftern aufgesucht worden:

Zweimal schlugen die Zündler in Prenzlauer Berg zu: Eine Mieterin wurde gegen 3.15 Uhr durch das Alarmsignal eines Rauchmelders, der sich im Flur eines alternativen Wohnprojektes in der Kastanienallee befindet, auf eine brennende Hauseingangstür aufmerksam. Geistesgegenwärtig löschte sie die von außen brennende Tür. Ersten Ermittlungen zufolge hatten Brandstifter Papier angezündet, wobei das Feuer auf die Eingangstür übergriff. Gegen 7.20 Uhr entdeckte ebenfalls ein Mieter Flammen an der Hauseingangstür im Hinterhof eines linken Wohnprojektes in der Lottumstraße. Auch hier war Papier angezündet worden, die Flammen hatten bereits die Hauseingangstür in Mitleidenschaft gezogen. Dem Mieter gelang es ebenfalls, das Feuer selbst zu löschen.

In Kreuzberg zündeten Unbekannte gegen vier Uhr auf einem Mieterparkplatz des alternativen Wohnprojekt "Tommy Weisbecker Haus" in der Wilhelmstraße einen Opel sowie einen Fiat auf einem Mieterparkplatz an. Ein Zeuge bemerkte die Flammen und rief die Polizei und Feuerwehr. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden.

Auch das "Anton-Schmaus-Haus" der "Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken" (SJD) in der Gutschmidtstraße in Britz, ist in der Nacht zu Montag beschädigt worden. Die Sicherheitsleute eines anliegenden BVG-Depots hatten die Rauchschwaden am Schmaus-Haus gegen 0.15 Uhr bemerkt und die Feuerwehr gerufen. "Der Schaden ist sehr hoch", sagte eine Falken-Mitarbeiterin. Die gesamte Fassade des Gebäudes stand in Flammen. Nur eine Nacht zuvor habe noch eine Kindergruppe in dem Haus übernachtet. Die Experten vom LKA gehen davon aus, dass Brandbeschleuniger benutzt wurde. Schon mehrfach war das Jugendzentrum in den vergangenen Jahren mit rechtsextremen Parolen beschmiert worden.

Die Ziele der Brandanschläge haben alle Eines gemeinsam: Sie werden auf der Internetseite des "Nationalen Widerstand Berlin" (NW-Berlin) aufgelistet, zum Teil mit Fotos und detaillierten Beschreibungen.

Am Samstag wurde über einen internen E-Mail-Verteiler des NW-Berlin eine explizite Aufforderung verschickt, Anschläge auf alternative Projekte zu verüben. "Brecht den Terror der Roten! Linke Lokalitäten sind auf der Berliner Widerstandsseite zu finden", heißt es in der E-Mail. Auch Namen und Fotos von missliebigen Politikern, Journalisten, Gewerkschaftern und alternativen Jugendlichen werden auf der Seite veröffentlicht. Seit der Veröffentlichung der Adressen wurden viele der betroffenen Läden regelmäßig beschmiert und die Scheiben eingeschlagen. Im Oktober vergangenen Jahres gab es dann einen Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Kreuzberg, in dem ein linkes Geschäft seine Räume hat.

Während die Polizei es bislang nicht geschafft hat, die Webseite zu schließen, reagierte Anfang Mai die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und stellte die Seite auf den Index. Bei großen Suchmaschinen wie Google taucht die Homepage nicht mehr auf. Wer die Webadresse kennt, kann die Seite jedoch weiterhin erreichen. Dass die Polizei trotz zahlreicher Anzeigen bislang nicht ernsthaft gegen die Webseite vorgeht, sorgt bei Politikern und Initiativen gegen Rechts für Unverständnis. Selbst als im April auf der Homepage ganz offen Demokraten ein "Strick um den Hals oder [eine] Kugel in den Bauch" angedroht wurde, blieben die Betreiber unbehelligt.

Dabei ist es ein offenes Geheimnis, wer hinter dem NW-Berlin steckt. Als Betreiber der Seite gilt Sebastian Schmidtke, der im Landesvorstand der NPD sitzt und jahrelang führender Kopf der Nazigruppierung "Märkischer Heimatschutz" war. Er sprach in einem Interview mit einer rechtsextremen Zeitschrift von "unserer Seite". Auf mehreren auf der Homepage veröffentlichten Flugblättern wird er als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes genannt. Wählte man die zeitweise auf der Seite genannte Kontakttelefonnummer, nahm Schmidtke den Hörer ab. Zuletzt schrieb der niedersächsische Nazifunktionär Dieter Riefling nach einer rechten Veranstaltung in der Szenekneipe "Zum Henker" in Schöneweide im April, dass er herzlich von "Sebastian Schmidtke vom NW-Berlin" begrüßt worden sei.

Vor der eskalation am Sonntag waren am Sonnabend zwei führende Politiker der Berliner NPD von Autonomen angegriffen und verletzt worden. Der Landesvorsitzende Uwe Meenen erhielt mittags vor dem S-Bahnhof Bornholmer Straße einen derartigen Schlag ins Genick, dass er zu Boden ging. Fünf mit Tüchern und Schals Vermummte traten den am Boden Liegenden und sprühten ihm Reizgas in die Augen, bevor sie flüchteten. Meenen wurde im Krankenhaus behandelt.

Zwei Stunden zuvor hatten am Samstag fünf bis sechs Angreifer im Neuköllner Ortsteil Gropiusstadt NPD-Vorstandsmitglied Sebastian Thom beim Verteilen von Wahlbroschüren niedergeschlagen. Als der 24-Jährige am Boden lag, prügelten und traten die nach Polizeiangaben „mit Sonnenbrillen und schwarzen Tüchern“ vermummten Täter weiter auf ihn ein. Thom erlitt Prellungen und Schürfwunden. Zwischen beiden Taten gibt es neben dem Vorgehen und der Täterbeschreibung eine weitere auffallende Parallele: Beide Opfer wurden beraubt. Thom entrissen die Täter einen Beutel mit NPD-Broschüren, Meenen das Buch „Antifa heißt Angriff“, das in einem rechtsextremen Verlag erschienen ist.

Schon in der Nacht zu Donnerstag war in Neukölln bereits der NPD-Kandidat Jan Sturm von fünf schwarz Vermummten vom Fahrrad gerissen und mit Flaschen und Stöcken verprügelt worden. Auch der 46-Jährige wurde verletzt. Damit wurden innerhalb von 62 Stunden drei der insgesamt zehn NPD-Kandidaten für die Wahl im September niedergeschlagen und verletzt. Aufgrund der Maskierungen der Täter hat Polizeisprecher Frank Millert kaum Zweifel, dass die „Angriffe auf rechtsextreme Funktionäre“ geplant waren. Die Polizei prüft nun, ob es sich bei allen Attacken um dieselben Täter handelte.

Und wie die Adressen der linken Projekte sind auch die Adressen von Neonazis und Rechtsextremisten bis ins Detail im Internet zu finden. Zahlreiche selbst ernannte „Antifaschisten“ veröffentlichen regelrechte Steckbriefe von mehr oder minder bekannten Rechten. Nachdem im Januar die NPD die Vereinigung mit der DVU gefeiert hatte, veröffentlichte eine Antifagruppe wenig später die Fotos sämtlicher 107 Teilnehmer des Parteitags. Nur bei wenigen fehlen die Namen. Auf der Seite heißt es drohend: „Neonazi sein heißt Probleme zu bekommen.“ Die Privatadresse Sturms zum Beispiel beispielsweise hatte die Neuköllner „Antifa“ vor Jahren im Internet veröffentlicht, ebenso den Namen seiner Stammkneipe.

Laut Millert sind „die verstärkten Wahlkampfaktivitäten der rechten Parteien“ Auslöser der jüngsten Attacken auf bekannte Rechtsextreme: „Dadurch sind die Parteien für die Linksextremisten stärker wahrnehmbar.“ Allerdings betonte der Sprecher, dass es auch in der Vergangenheit „immer wieder gewalttätige Übergriffe von Linksextremisten auf Rechtsextremisten gab, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen kam“.

In der linken Szene heißt es, dass die Nazis mit ihrer aggressiven Demonstration in Kreuzberg die Wut geschürt hätten. Wie berichtet, hatte Mitte Mai etwa ein Dutzend Neonazis auf Gegendemonstranten eingeprügelt. Nach Angaben der Antifa waren Sturm und Thom bei der Demo dabei. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt hatte nach dem Angriff auf Sturm „die Bildung von Schutzmannschaften“ gegen „Linksextremisten und sogenannte Migranten“ gefordert. Auf Neonazi-Seiten wird nun Rache geschworen.

Bereits vor Abgeordnetenhauswahl 2006 hatte die Polizei einen deutlichen Anstieg von Attacken registriert. 2006 waren es 370 Taten, bei den Bundestagswahlen 2005 nur 171 Taten. Begonnen hatte die jüngste Serie Anfang des Monats: Vier Vermummte hatten eine Versammlung von „Pro Deutschland“ in Treptow angegriffen und den Ex-Landeschef der DVU, Torsten Meyer, verletzt.

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