zum Hauptinhalt

Brandenburg: Zuchthaus für den Justizminister Max Fechners Haltung zum 17. Juni weckte Hoffnung

Es war der Blick ins DDR-Grundgesetz, der ihn zu Fall brachte. Max Fechner hatte sich gewundert, was ihm sein Pressereferent aufgeschrieben hatte, da stand tatsächlich: „Das Streikrecht ist verfassungsmäßig garantiert.

Es war der Blick ins DDR-Grundgesetz, der ihn zu Fall brachte. Max Fechner hatte sich gewundert, was ihm sein Pressereferent aufgeschrieben hatte, da stand tatsächlich: „Das Streikrecht ist verfassungsmäßig garantiert.“ So blieb der Satz im Interview fürs „Neue Deutschland“ stehen, das kurz nach dem Aufstand erschien und Hoffnung auf eine rechtsstaatliche Aufarbeitung des Aufstands auslöste. Fechner gehörte zur SED-Nomenklatura, war seit der DDR- Gründung 1949 Justizminister.

Der gelernte Werkzeugmacher wurde 1892 in Rixdorf, heute Neukölln, geboren. Er gehört zu den zwiespältigen Figuren der deutschen Arbeiterbewegung. Die Kritik an der Unterstützung der SPD im Ersten Weltkrieg trieb ihn 1917 zur linkeren USPD, bis er 1923 zur Sozialdemokratie zurückkehrte. Er wurde Abgeordneter im Preußischen Landtag, arbeitete für den SPD-Parteivorstand, verstand sich als linker Sozialdemokrat. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde er bald verhaftet. Obwohl freigesprochen, weil sein Anwalt geltend machen konnte, dass Fechner misshandelt worden war, blieb er bis 1935 als „Schutzhäftling“ im Konzentrationslager – mit vielen Kommunisten.

Nach der Entlassung betrieb Fechner mit seiner Frau Erna ein Milchgeschäft in Neukölln, im Hinterzimmer wurde die illegale SPD-Parteiarbeit organisiert – bis Fechner 1944 erneut verhaftet wurde. Die Russen befreiten ihn aus dem KZ.

Mit Otto Grotewohl war Fechner 1946 maßgeblich an der Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beteiligt. Mit Parteidisziplin machte er Karriere. Sowjetische Berater sorgten dafür, dass er Justizminister wurde – fast ohne juristische Kenntnisse. Unter seiner Leitung machte die DDR erste Schritte in den Unrechtsstaat. Ultralinientreue Genossen wie seine spätere Nachfolgerin Hilde Benjamin setzten ihm zu. Er wurde zum Alibi-Sozialdemokraten in der SED, während Ulbricht und Co. brutal ihre stalinistische Linie exekutierten.

Umso mehr war das Interview ein Paukenschlag. Weder sollten Angehörige der Streikleitung bestraft noch vermutete „Rädelsführer“ auf bloßen Verdacht hin verfolgt werden, hatte Fechner in dem Gespräch betont. Offenkundig warb er für Vertrauen in die Justiz. Zwei Tage später folgte – als Berichtigung – noch der entfallene Hinweis, dass „das Streikrecht verfassungsmäßig garantiert“ sei. Bei vielen Verhafteten weckte es letztlich Hoffnung auf ein rechtstaatliches Verfahren.

Für das Politbüro unter Ulbricht war das Verrat; es enthob Fechner am 14. Juli 1953 des Amtes. Nach einem Monat Isolationshaft und unzureichender medizinischer Betreuung gab der Diabetes-Kranke „Schädlingstätigkeit“ zu. Wegen „Boykotthetze“ und „Verbrechen gegen den Staat“ wurde er zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Vor Gericht wurde er mit einer unbewiesenen Homosexualität diffamiert und zum Nazi-Kollaborateur gemacht.

Fechner selbst hat den Prozess und die Verurteilung mit bemerkenswerter Naivität offenbar als Irrtum angesehen. Nach zwei Jahren im Zuge einer Amnestie 1956 entlassen, wurde er wieder in die SED aufgenommen, erhielt 1967 den Vaterländischen Verdienstorden. Offiziell rehabilitiert wurde er nie. Gerd Nowakowski

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false